: Siemens — ein Fall für sich
■ Teil 2 der Bremer Skandalgeschichte / Für „Öffentlichkeitsarbeit nicht geeignet"
Die öffentliche Verwaltung hat geregelte Verfahren, da gibt es Planungen mit präzisen Vorgängen, Ausschreibungen und Gutachten von Experten. Ist es denkbar, daß trotz dieser verrechtlichten Entscheidungsstrukturen für einen Konzern wie Siemens alle Grundsätze über Bord geworfen und die Firma einfach deshalb bevorzugt wird, weil Siemens der einzige deutsche Elektronik-Konzern auf dem Weltmarkt ist? Es ist möglich!
Die Posse mit dem Bremer Uni-Rechner
Nachzuweisen ist das im Detail meist nicht. Die Anzahl der betroffenen Experten ist klein, wenn jemand plaudert, wissen die anderen sofort, wer nicht dichtgehalten hat. Zu erfahren ist also nur, was lange zurückliegt. Etwa die Beschaffung eines Rechners für die Bremer Uni, irgendwann in den 70er Jahren. Verschiedene Firmen hatten Angebote ausgearbeitet. Fachleute der Universität prüften die Angebote und kamen zu dem Ergebnis: Das Angebot der US- Firma Burroughs ist optimal. Siemens landete auf dem fünften Platz. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) überprüfte die Wahl der Bremer Wissenschaftler und bestätigte die Entscheidung.
Uni und Borroughs waren sich einig, die Deutschland-Abteilung von Burroughs lieferte den Rechner — ein Vertrag sollte später abgeschlossen werden. Doch die Fachleute hatten die Rechnung ohne die deutsche Industriepolitik gemacht. Der Bonner Forschungsminister Volker Hauff (SPD) hatte gerade mit einem Milliardenprogramm Siemens unter die Arme gegriffen und wollte dafür sorgen, daß die so gesponserte Technologie, wenn sie schon nicht überzeugte, doch wenigstens gekauft würde. Ein „Programm“ wurde aufgelegt: Eine Uni, die sich einen „regionalen Rechner“ zulegen würde, sollte 75 Prozent der Anschaffungskosten von Bonn bekommen, deutlich mehr als sonst üblich. „Regionaler Rechner“ sollte heißen, daß Menschen oder Institutionen aus der Region diesen Rechner benutzen.
Das Konzept war Unsinn, wenige Jahre später waren die Rechner viel kleiner und billiger geworden. Aber das konnte man damals vielleicht noch nicht wissen. Das Bundesland Bremen, vertreten
Noch sitzt Siemens mittendrinFoto: T.V.
durch seinen Wissenschaftssenator Horst-Werner Franke, wollte die 75-Prozent-Finanzierung aus Bonn mitnehmen und meldete den Uni-Rechner als „regionalen Rechner“ an. Was in den offiziellen Richtlinien für das Förderprogramm für die „Regionalen Rechner“ nicht stand, weil es offiziell nicht gesagt werden durfte: Wer die 75 Prozent haben wollte, mußte von Siemens kaufen, teilte das Hauff-Ministerium dem Bremer Wissenschaftssenator und Genossen Franke intern mit.
Der machte Siemens klar, daß nachgebessert werden müsse, um eine andere Entscheidung als die von den Fachleuten vorgeschlagene zu legitimieren. Die Siemens- Leute versprachen, in den Jahren nach der Lieferung, das Angebot aufzubessern — ein Versprechen, das unter normalen Bedingungen keine akzeptable Grundlage für Verwaltungshandeln wäre. Und doch beschloß der Bremer Senat für Siemens — gegen die Voten der Fachleute. „Freihändig“, wie der Spiegel 1980 formulierte.
hier das Haus
(1992 sollte der Bremer Rechnungshof diese ironische Floskel für die Umstände der Beschaffung eines WAP-Computers übernehmen, vgl. taz 9.1.93)
Burroughs mußte damals seine Kisten wieder einpacken, ging aber vor Gericht, weil die Firma eine feste Zusage der Uni zu haben glaubte. Die Computer-Firma verlor den Prozeß, weil sie keinen vollgültigen schriftlichen Vertrag hatte und weil die Universität gar nicht zur Bestellung berechtigt gewesen wäre. Der kleine Formfehler ersparte Bremen die Zahlung von Schadenersatz, erzählt der damalige Senator heute amüsiert.
Unter den Etiketten des großen Siemens-Gerätes fanden die Bremer Wissenschaftler dann die volle Wahrheit: Einen japanischen Fujitsu-Rechner.
Siemens und die Bremer Verwaltung
Deutsche Behörden verfahren nicht nur in Bremen in diesem Fall so: Der Spiegel berichtete 1980 über ähnliche Fälle bei einem Großrechner in Berlin, beim Rechner der Universität Saarbrücken und beim Rechner des Flughafens München.
Siemens war die erste Adresse, als die bremischen Behörden in der Mitte der 80er Jahre daran gingen, die Ausschreibung für die Ausstattung der gesamten bremischen Verwaltung mit Computern zu besorgen. Auch hier hatten die Fachleute sich nicht für Siemens entschieden — der Senat überging das Votum mit der Begründung, Siemens habe versprochen, „im Falle der Auftragserteilung Teile der Softwareentwicklung für Bürokommunikation nach Bremen zu verlagern und in Bremen projektbegleitend ein Team zu ihrer Unterstützung zu installieren, so daß hier in enger Zusammenarbeit vor Ort Anwendungslösungen entstehen und weiterentwickelt werden, die höchste Akzeptanz in den einzelnen Verwaltungen finden“. So Siemens in einem Brief vom 2.7.1987 an den Bremer Senat. Das waren ungedeckte Versprechungen im schönsten Superlativ. Im Senat, so erinnert sich der damalige Senator Thomas Franke, ging damals die Rede, Siemens werde Arbeitsplätze von Bremen abziehen, wenn es mit dem Großauftrag nicht bevorzugt werde. Aus sogenannten „übergeordneten Gesichtspunkten“ überging der Bremer Senat 1987 das Votum der Fachleute und entschied für Siemens.
Zwei Jahre später, im November 1989, mußte der Bremer Senat einsehen, daß die Münchner Siemens-Zentrale nicht daran dachte, die in Bremen abgegebenen Versprechen einzulösen (vgl. taz 9.1.93). In der entsprechenden Senatsvorlage zum Beschluß, nun von Siemens Abschied zu nehmen und dem Rat der Fachleute zu folgen, ist der Ärger in Andeutungen klarer herauszuspüren, als die Zurückhaltung einer ordentlichen Verwaltung das eigentlich erlaubt: Dinge seien „ungeklärt“, anderes „auf nicht sehr einfache Art gelungen“, Siemens könne etwas anderes „nicht exakt ... festlegen“ und so weiter.
In Senatsvorlagen ist unter dem Buchstaben „E“ immer angegeben, wie die Öffentlichkeit informiert werden soll und wer sich wie mit der Sache profilieren darf. Im Falle Siemens steht unter „E - Öffentlichkeitsarbeit“ der kurze Vermerk: „Nicht geeignet.“ Klaus Wolschner
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