: 300 Hungertote in Ostbosnien
■ UNO-Konvoi mußte 500 Meter vor der belagerten Stadt Zepa umkehren/ Muslimische Milizen feuerten auf Grenzstadt in Serbien/ In Bihać sind immer noch 250.000 Muslime eingekesselt
Sarajevo/Zagreb/Belgrad (AFP/dpa/taz) – Hunger und Kälte fordern in Bosnien inzwischen täglich Dutzende von Toten. Allein in Zepa, einem Ort im Osten der Republik, sollen einem örtlichen Amateurfunker zufolge schon über 300 Menschen erfroren oder verhungert sein. 60 Kälteopfer werden aus dem Gebiet um den bosnischen Grenzort Zvornik gemeldet. Zu vielen anderen abgelegenen Gegenden haben aufgrund der Kriegslage weder Hilfsorganisationen noch Journalisten Zugang, und entsprechend fehlt es auch an Informationen.
Wie schwierig die Versorgung der Bevölkerung ist, zeigte sich am Wochenende in Zepa, das an einem Nebenfluß der Drina liegt, die dort die Grenze zwischen Serbien und Bosnien-Herzegowina bildet. Der vorwiegend muslimisch besiedelte Ort, dessen Einwohnerzahl aufgrund der Flüchtlinge von 8.000 auf 20.000 angeschwollen ist, wird seit Kriegsausbruch, seit zehn Monaten also, belagert. Ein Hilfskonvoi der Vereinten Nationen, der in Belgrad mit 80 Tonnen Hilfsgütern aufgebrochen war, mußte am Samstag 500 Meter vom Ortseingang entfernt wieder umkehren. Serbische Freischärler hatten zahlreiche Barrikaden errichtet. Viele Straßen sind vermint oder vom Schnee verweht. Am Sonntag versuchte der Konvoi von einer andern Seite her in die Stadt zu gelangen und war bei Redaktionsschluß bis in Sichtweite der Eingeschlossenen vorgedrungen.
Angesichts der verzweifelten Lage, in der sich Hunderttausende von Menschen befinden, hat der Bundestag am Freitag auf Initiative der SPD-Fraktion einen Antrag zur Öffnung des Flughafens von Tuzla für Hilfslieferungen verabschiedet. Schon vor einiger Zeit hatte der Bürgermeister der von serbischen Truppen weitgehend umzingelten Stadt in einem dramatischen Appell an die Vereinten Nationen und an die Europäische Gemeinschaft darauf hingewiesen, daß der Flughafen völlig intakt ist. In Tuzla leben heute 180.000 Menschen, ein Drittel davon Flüchtlinge. Aus dem Luftweg könnte, so heißt es im Antrag, „die gesamte Region mit etwa 850.000 von Hunger, Kälte und Krieg bedrohten Menschen versorgt werden“.
In zahlreichen Gegenden Bosnien-Herzegowinas wurde am Wochenende der Krieg mit unverminderter Härte fortgesetzt. Der „Kessel von Bihać“ im äußersten Nordwesten des Landes, wo 250.000 Muslime seit Monaten in einem Gebiet, das direkt an die UNO-Schutzzone in Kroatien angrenzt, eingeschlossen sind, lag am Wochenende unter dem Beschuß schwerer serbischer Artillerie. In Sarajevo tötete eine Granate, die in eine Schlange von Menschen einschlug, die um Wasser anstanden, acht Menschen.
Selbst das Territorium Restjugoslawiens blieb am Wochenende vom Krieg nicht ganz verschont. Auf Bajina Bašta, eine Stadt auf dem serbischen Ufer der Drina, gingen vier Granaten nieder, die offenbar von muslimischen Milizen aus Bosnien abgeschossen wurden. Die serbische Nachrichtenagentur Tanjug sprach von einem muslimischen Angriff auf das Wasserwerk von Perucać, das direkt an der Grenze zu Bosnien- Herzegowina auf serbischem Gebiet liegt.
Und selbst in Mazedonien, der südlichsten Republik des ehemaligen Jugoslawiens, ist der Frieden in Gefahr. Am Freitag forderte die „Demokratische Partei der Serben Mazedoniens“ (DPSM), die im wesentlichen die 44.000 Serben der Republik (2,3 Prozent der Bevölkerung) vertritt, ein Referendum über den Beitritt der Republik zu Restjugoslawien. Die Partei versuche ihre Ziele auf friedlichem Weg zu erreichen, sagte ihr stellvertretender Vorsitzender Dobrivoje Tomić. Falls dies nicht gelinge, so warnte er jedoch, werde man zu „Maßnahmen der Selbstverteidigung“ Zuflucht nehmen. Und in diesem Falle könne man wohl mit der „Unterstützung durch unser Mutterland“ rechnen. thos
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen