: Weg frei für unbekannten Atommüll
Polizei räumt Blockade vor dem Zwischenlager in Gorleben mit Gewalt/ Knüppel und Tränengas wie zu CDU-Zeiten/ 500 DemonstrantInnen halten Atomtransport acht Stunden auf ■ Aus Gorleben Hannes Koch
„Ich heiße sie herzlich willkommen. Die Polizei wird sie bei der Wahrnehmung des Demonstrationsrechtes unterstützen“, hallte es am Dienstag mittag durch den Gorlebener Forst. Mit rund 500 BlockiererInnen konfrontiert, die einen Atomtransport in das Zwischenlager Gorleben verhindern wollten, setzte die Einsatzleitung der Polizei zunächst auf Deeskalation. Als die DemonstrantInnen die Straße jedoch nicht freiwillig räumten, um die Atommüll-Laster ins Zwischenlager zu lassen, wurde die Episode sanfter rot-grüner Polizeistrategie schnell wieder beendet. 600 Polizisten setzten Tränengas ein und schlugen ihre Knüppel auf so manchen DemonstrantInnenkopf.
„Eine böse Sache habe ich selbst gesehen“, sagte der Lüchow- Dannenberger Landrat Christian Zühlke (SPD). Er stand selbst vor einer Barrikade aus Baumstämmen im Gorlebener Forst, als ein Polizist eine Demonstrantin mehrere Meter verfolgte, nur um ihr Tränengas ins Gesicht zu sprühen. Zuvor hatte der Landrat mit seiner Frau selbst in der ersten Reihe der Blockierer gesessen, neben ihm die Seniorinnen des Widerstands, die über 60jährigen.
In den blauen Atommüllcontainern, die gestern per Lkw nach Gorleben geschafft wurden, befindet sich ein Teil der strahlenden Überbleibsel des Transnuklear- Skandals von 1986/87. Ein Vertrag zwischen der Bundesregierung und Belgien sieht vor, daß ein Teil des Atommülls, der ursprünglich im belgischen Mol gelagert wurde, wieder nach Deutschland zurückgebracht werden muß. Der strahlende Inhalt des gestrigen Atomtransportes sowie der etwa 20 folgenden ist in seiner Zusammensetzung nicht bekannt. Den jetzigen Versuch, einen Mol-Transport sicher nach Gorleben zu bringen, hatte die rot-grüne Landesregierung im Dezember 1992 zunächst abgebrochen. Die Sicherheit des Transports sei nicht zu gewährleisten gewesen, hieß es damals im von der SPD geführten Landesinnenministerium. Der Widerstand der Anti-AKW-DemonstrantInnen war so stark gewesen, daß die strahlende Fracht ins Atomkraftwerk Esensham an der Weser umgeleitet wurde.
Mit dem Einverständnis der rot- grünen Landesregierung hatte der Transport das Atomkraftwerk Esensham gestern morgen um ein Uhr verlassen, um einen zweiten Anlauf auf das Zwischenlager zu unternehmen. Doch auch die Atommüllgegner hatten in der Nacht nicht geschlafen. Wenige Minuten nach dem Aufbruch der Atommüllkolonne hatten ihre Späher die Anti-Atom-AktivistInnen in Hamburg, Hannover und anderen Städten informiert, und das Wettrennen zum Gorlebener Zwischenlager begann. Die meisten der 500 BlockiererInnen trafen vor dem Transport ein.
Am Trafo-Häuschen vor dem Eingang des Zwischenlagers versammelt, sahen die DemonstrantInnen zunächst nur wenige Polizisten und errichteten in den frühen Morgenstunden auf allen Straßen rund um das Lager Barrikaden aus Baumstämmen, Verkehrsschildern und Pflastersteinen.
Solange die Transporte noch nicht in der Nähe des Lagers angekommen waren und die offensichtliche Polizeipräsens gering blieb, war die Stimmung auf beiden Seiten locker – keiner tat dem anderen etwas zuleide. Die Beamten schauten sogar beim Barrikadenbau zu. Als die Atomlaster aber schließlich nach mehrstündiger Verspätung auf einem nicht asphaltierten Schleichweg durch den Gorlebener Forst rollten, wurde das Verhalten der Polizei zunehmend aggessiver. Polizisten zerrten DemonstrantInnen an den Haaren von den Barrikaden, machten ausgiebig von ihren Knüppeln Gebrauch und drängten die BlockiererInnen Meter für Meter in Richtung Zwischenlager zurück. BeobachterInnen waren sich einig, daß der Polizeieinsatz zunächst zurückhaltend war, sich jedoch bei der Räumung der Barrikaden von Einsätzen zu Zeiten der CDU-Landesregierung kaum unterschied.
Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) kann zur Zeit nichts weniger gebrauchen als gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Polizei und AtomgegnerInnen. In Verhandlungen mit der Atomindustrie versucht er einen neuen gesellschaftlichen Konsens über die Atomenergie zu stiften. Die bestehenden Atomkraftwerke sollen nur noch für eine Übergangszeit weiterlaufen und danach abgeschaltet werden. Auch das Endlager in Gorleben soll nicht weitergebaut werden. Dieser neue gesellschaftliche Konsens wird durch Polizeieinsätze wie am Dienstag in Frage gestellt. Der Polizeieinsatz in Gorleben zeigt, daß bis zur endgültigen Stillegung der Atomkraftwerke auch eine rot- grüne Regierung die Atomindustrie schützen wird.
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