: Gedenken hat sich abgeschliffen
■ Nur 600 bei Demo zur Machtergreifung / Friedensforum macht Miese
Lange Gesichter am Samstag auf dem Marktplatz: Nur rund 600 BremerInnen waren gekommen, um am sechzigsten Jahrestag der Machtergreifung der NSDAP „den Rechtsruck zu stoppen“, wie es im Aufruf geheißen hatte. Die OrganisatorInnen, allen voran das Bremer Friedensforum, hatten mit erheblich mehr Resonanz gerechnet. Mehr als vierzig Organisationen hatten aufgerufen, vom DGB über die SPD bis hin zum Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD — doch am Ende steht das Friedensforum sogar mit Miesen da: Von den 3.000 Mark Veranstaltungskosten sind bislang erst 1.000 Mark zugesagt.
Willy Hundertmark von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes war angekündigt, und er hielt auch eine flammende Rede: Daß Heute zwar nicht mit 1933 aber durchaus mit 1929 vergleichbar sei. Und die DGB-Vorsitzende Helga Ziegert sprach davon, daß der Sozialabbau zum Rechtsruck führe. Warum das nur so wenige hören mochten, darüber herrscht Rätselraten. Man habe sich darauf verlassen, daß die Medien im Vorfeld berichten würden, meint Reinhard Werner, der für die SPD im Vorbereitungskreis gesessen hat. „Ganz im Gegensatz
Ein kleines Häuflein der Aufrechten versammelte sich am Samstag vor dem DomFoto: T. Vankann
zur Lichterkette hat der 'da geht man hin'-Effekt gefehlt.“ Viel Zeit sei mit der Diskussion des Aufrufes verbracht worden, die Energie hätte man besser in die Mobilisierung gesteckt, meint Werner.
Es hatte scharfe Auseinandersetzungen um den Aufruftext gegeben. An deren Ende hatten sich die Grünen von einem gemeinsamen Flugblatt verabschiedet und mit einem eigenen Text zur Demonstration aufgefordert. Streit hatte es vor allem um die Analogien zwischen 1933 und 1993 gegeben, die im ursprünglichen Text
Hierhin bitte das Foto
mit den vielen Menschen
noch viel pointierter gewesen waren. In langen Debatten waren einige der Spitzen noch abgeschliffen worden, doch nicht genug. „Die Grünen haben sich ein Armutszeugnis an Politikfäghigkeit ausgestellt“, meint dazu Ekkehard Lenz vom Friedensforum. „Wir wollten noch ein bißchen mehr sagen, als in dem Aufruf stand, und deshalb haben wir was Eigenes gemacht“, sagt dagegen der Grünen- Vorstand Arendt Hindriksen.
„Wir haben von der Lichterketten-Euphorie nicht profitiert. Unser Aufruf war ja ein bißchen poli
tischer als 'eine Stadt sagt nein'“, meint Lenz. Und daß sich bei der Demo Kleinorganisationen wie der Wiederaufbaubund mit seiner Singegruppe „Roter Pfeffer“ in den Vordergrund geschoben hätten, das habe daran gelegen, daß die großen Organisationen nichts getan hätten. Der DGB habe einen Praktikanten zu den Sitzungen geschickt. Möglicherweise sei auch die Orientierung auf Gedenktage überholt. Das meint auch Hindriksen: „Diese Form des Gedenkens hat sich abgeschliffen.“ J.G.
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