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Roboter und heiße Quellen im Schnee

Im japanischen Morioka beginnen heute die alpinen Skiweltmeisterschaften  ■ Aus Tokio Georg Blume

„Ich habe die Pisten genau gecheckt“, verspricht der japanische Skiveteran Aki Murasato. „Was den Schnee betrifft, gibt es keine Probleme mehr.“ So ganz leicht fällt es dennoch nicht, dem alten Ortskenner Murasato zu vertrauen. Seit einigen Tagen hat es im nordjapanischen Morioka-Shizukuishi, dem Austragungsort der ersten alpinen Skiweltmeisterschaften in Asien, so heftig gestürmt und geschneit, daß der Verkehr fast zusammenbrach. Aber in Japan macht die Technik ja bekanntlich alles möglich. Gerüchten zufolge sollen bei den heute beginnenden Weltmeisterschaften Schneeroboter zum Einsatz kommen, um die Piste startklar zu fegen. Nur auf Skiern wurden die neuen Pistenwesen bisher nicht gesehen. Der Luxemburger Abfahrtsstar Marc Girardelli hatte nach der Ankunft ganz andere Sorgen: „Der Hang ist nicht steil genug“, schimpfte der Favorit nach dem ersten Probelauf. „Das wird ein fürchterliches Rennen.“ Fragt sich nur für wen: „Japaner lieben es, genau und schön Ski zu laufen“, meint Skiexperte Murasato, der die Weltmeisterschaften als fachlicher Chefberater betreut. „Doch die Japaner mögen nicht schnell fahren.“ Müssen also auch die Alpenhelden aufgrund der japanischen Schneestürme einen Gang langsamer schalten?

Natürlich nicht. Wer das japanische Organisationstalent kennt, zweifelt keine Sekunde am reibungslosen Ablauf der nächsten vierzehn Tage. Immerhin haben die Veranstalter schon den Zeitraum der WM so großzügig bemessen, daß pro Tag immer nur ein Lauf vorgesehen ist, obwohl zwei gut möglich sind. So lassen sich die Rennen fast beliebig umprogrammieren. Diese Vorsicht ist geboten, weil das nordjapanische Wetter den Skiläufern nicht das erste Mal Probleme macht. Wind und Nebel erzwangen bereits im vergangenen Jahr die Absage von drei der vier geplanten Weltcuprennen in Morioka-Shizukuishi. Die Präfektur Iwate mit der Hauptstadt Morioka ist nämlich für ihr rauhes, unergründliches Klima im ganzen Land bekannt. Früher lag die Gegend für viele unerreichbar im nordöstlichen Eck der Hauptinsel Honshu. Erst seit der Superschnellzug Shinkansen vor einigen Jahren seinen Endpunkt in Morioka erreichte, spürt die Region ein wenig Rückenwind aus Tokio.

Nichts hat die Leute in dieser Gegend je reich gemacht, nicht einmal der berühmte Reiswein. Doch der Stolz der Einheimischen ist legendär, ein Blick auf den Iwate-san läßt ihn erkennen. Dieser mächtige Vulkan, der wie ein halbstarker Bruder des Fujiyamas anmutet und die Landschaft vollständig beherrscht, ist auch das Ziel der Skimannschaften aus 44 Nationen. Denn dort, wo seine weißen Hänge nicht durch heiße Quellen durchbrochen werden, fallen in den nächsten Tagen die Entscheidungen über das begehrte Ski-Gold.

Auf die klimatischen Unwägbarkeiten, die das Leben unter dem Iwate-san seit jeher spannend machten, ließ sich vor dreizehn Jahren auch ein Herr Tsutsumi ein. Er nämlich entschied, am Rande der 20.000-Seelen-Gemeinde von Shizukuishi ein modernes Skigebiet aus dem Boden zu stampfen. Das war gewissermaßen eine Heldentat: vom reichsten Mann des Landes für den ärmsten Teil der Nation. Yoshiaki Tsutsumi ist nämlich der in Japan wohlbekannte Herr des Seibu-Konzerns, Besitzer großer Eisenbahnstrecken, Führer der lukrativen Prince- Hotelkette und nicht zuletzt Eigentümer des erfolgreichsten Baseballteams der vergangenen Jahre. Wen wundert's, daß er Shizukuishi am Iwate-san im Handstreich eroberte. Das Geschenk einer Skiweltmeisterschaft erscheint den Vulkandörflern nun geradezu als Himmelsgabe. Als seien sie vom reichsten Mann persönlich überreicht, führen nun alle Gemeindeangestellten Visitenkarten mit Fotomotiven aus dem Skigebiet. Für die fernen Gäste aus den Alpen steht am kümmerlichen Rathaus gar auf deutsch geschrieben: „Gemeindeamt der Stadt Shizukuishi“.

Doch so provinziell sich Japan bei den Weltmeisterschaften auch gibt, das Skigeschäft hier ist es nicht. Herr Tsutsumi bedient inzwischen Millionen begeisterter und zahlungskräftiger Skiläufer. In den letzten Jahren erschloß Tsutsumi ein Skigebiet nach dem anderen. Dafür geriet er ins Kreuzfeuer der Umweltschützer, die ihm im Protest gegen seine rücksichtslose Bergchirurgie sogar zum Rücktritt als Vorsitzender des japanischen Olympischen Komitees zwangen. Doch seine Winterolympiade auf eigenem Boden in Nagano 1998 und seine Weltmeisterschaften bekam Tsutsumi trotzdem.

„Herr Tsutsumi hat einen großen Traum vom Skisport“, erklärt Skiveteran Murasato, davon überzeugt, daß ohne den Konzernmagnaten die WM in Japan niemals stattgefunden hätte. „Schauen Sie sich doch um!“ frohlockt der WM- Berater. „Wir sind hier im Tibet von Japan.“ Weshalb eben nur das Geld und wohl kaum sportliches Mitleid die Skiläufer aus aller Welt nach Shizukuishi locken konnte.

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