Sanssouci: Vorschlag
■ „Empedokles / Glückliche Tage“ im Theater 89
Nach dem „Atman-Projekt“ von 1991 und „Niemand“ von 1992 beendet die Evan-Theatergruppe in Zusammenarbeit mit dem Theater 89 nun ihr Triptichon über den Zustand der Welt und den Zustand des Menschen, von der Sinnkrise bis zur Apokalypse der Gefühle. Mathias Mertens, der in allen drei Produktionen für die Regie zuständig war, hat sich für den letzten Teil der Texte zweier Autoren bedient und sie zu einer interessanten Montage verknüpft.
Becketts „Glückliche Tage“ bildet den vordergründigen Rahmen des Abends, Bühnenbild und Spiel orientieren sich ganz an den Vorgaben des irischen Dramatikers: Kitschig soll die Bühne sein, und knallgelb leuchten dem Zuschauer unzählige Tulpenbeete aus der Spielfläche entgegen. In einem dieser Beete sitzt Winnie (Ursula Staack), bis zum Brustkorb von der Erde eingeschlossen. Ihr Handlungsraum ist stark begrenzt, die Luft zum Atmen hat sie sich selbst abgegraben. Winnie lebt aus Erinnerungen („der gute alte Stil“) und ist unfähig, sich aus ihrer Situation, ihrer Lethargie zu befreien. Im Gegenteil – im zweiten Teil des Stücks reicht ihr die Erde bis zum Hals. Winnie ist einsam. Zwar ist da Willie – bei Beckett noch Figur, im Theater 89 imaginärer Gesprächspartner – den Winnie überreden will, in ihren Gesichtskreis zu kommen, aber Willie kommt vorerst nicht, und Winnie kann allein nicht handeln. Die Tage werden für sie zur endlos langen Qual.
Das etwas zu forciert komische Spiel der sonst sehr intensiven Darstellerin wird von Tonbandeinspielungen aus Hölderlins bruchstückhaft gebliebener Tragödie „Der Tod des Empedokles“ unterbrochen. Empedokles, ein griechischer Denker und radikaler Demokrat, der sich der Legende nach in den Ätna gestürzt haben soll, weiß bei Hölderlin, daß der Mensch allein ist und sich demnach auch nur allein helfen kann. Er faßt in Worte, was Becketts materialistisch-oberflächliche Winnie darstellt. Es ist, als wolle er, der politisch denkende Mensch, ihr die Augen öffnen. Aber gleichzeitig ist auch er ein in Kopf und Körper (Gefühl) getrennter Mensch und glaubt, seine Jugend und die Liebe vertan zu haben. Als alter Mann erinnert er sich, und parallel zu den Tonbandeinspielungen tanzt ein junger Mann (Christoph Pickert), körpergewordener Empedokles, einen vergeblichen Tanz des Auf- und Ausbruchs. Beide, Winnie und Empedokles scheitern an sich selbst, schaufeln sich ihr eigenes Grab, ob nun Vulkan oder Tulpenbeet.
„Der Schnee der Beziehungswinter als Grund für den Schlitten der Wohlstandsapokalypse“ – dieses Motto hat sich die Evan- Theatergruppe selbst für diesen Abend erwählt. Von einer Apokalypse ist im Theater 89 jedoch wenig zu spüren, weder körperlich noch geistig. Dazu gibt es zu viele ästhetische Schnörkel, wie die drei rätselhaften Tänzer, die hilflos zwischen den Tulpenbeeten tanzen. Und trotzdem bleibt diese Montage spannend, vermittelt ein trauriges, destruktives Bild vom Menschen. Ob nun zu Hölderlins Zeiten oder zu Becketts oder heute – wer sich selbst zerstört, zerstört auch seine Umgebung. Anja Poschen
Weitere Vorstellungen: 7./8.2., 20.30 Uhr im Theater 89
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