piwik no script img

Lummers liebste Selbsthilfegruppe

■ Die Freiwillige Polizei-Reserve: ein Possil des Kalten Krieges gegen die fünfte Kolonne des "Ulbricht-Regimes" / Reserve-Armee seit Jahrzehnten überflüssig

Die Angst stand Pate an ihrer Wiege. In der Hochphase des Kalten Krieges, als täglich noch Hunderttausende Ostdeutsche in die „Frontstadt“ Westberlin pendelten und auf allen Kanälen der Propagandakrieg tobte, herrschte in der Großen Koalition aus CDU und SPD die Angst vor der fünften Kolonne, die der „Spitzbart“ Ulbricht loslassen könnte. Über die im Herbst 1960 noch offene S-Bahn, so fürchtete man, könnten die Kommunisten einsickern und Rathäuser, öffentliche Einrichtungen, die BVG und Rundfunksender im Handstreich besetzen. Unterlaufen wäre damit der militärische Verteidigungsfall, für den die westlichen Alliierten auf Wacht standen, grauste sich der Senat. Die Antwort auf dies Szenario war ein Plagiat der Betriebskampfgruppen der DDR. Die Männer der Freiwilligen Polizei-Reserve (FPR) sollten im Krisenfall die Postämter, die Springer-Druckerei oder den RIAS schützen. Doch dazu kam es nie. Kaum aufgestellt, machte der Mauerbau die Reservisten bereits wieder arbeitslos – was den Senat aber nicht abhielt, die Freizeit-Armee auf fast 6.000 Mann auszubauen. Die Polizei- Reserve wurde hinfort die Speerspitze der wehrhaften Demokratie. Zwei Dinge, so vertrat beispielsweise der damalige Senator für Sicherheit und Ordnung, Heinrich Albertz, könne man tun, um dem „Ulbricht-Regime“ die Gegnerschaft zu zeigen: die auch nach dem Mauerbau noch unter DDR-Regie fahrende S-Bahn boykottieren und Mitglied der Freiwilligen Polizei- Reserve werden. Der spätere Regierende Bürgermeister Albertz eilte gar zu den Studenten an die Freie Universität – von denen nicht wenige als Fluchthelfer und Tunnelbauer aktiv waren – und beschwor sie, die Reihen des Trutzbundes zu wählen. Eine Betätigung in der Polizei-Reserve sei besser als „dilettantische Sprengstoffanschläge“ gegen die Mauer, argumentierte Albertz.

Doch der Truppe, deren Mitglieder zumeist aus dem öffentlichen Dienst kamen, blieb wenig mehr zu tun als die regelmäßigen Übungen. Dabei wurden Wasserwerke verteidigt oder immer wieder geübt, wie kommunistische „Störer“ auf der Straße eingemacht werden. Kein Wunder, daß bald die Kritik wuchs. Schon zum zehnjährigen Jubiläum machte der kürzlich verstorbene SPD-Politiker und damalige Juso-Vorsitzende Jürgen Egert den ersten Anlauf, die arbeitslose „Geister-Armee“ aufzulösen. Die FPR überstand diesen und auch weitere Versuche Anfang der achtziger Jahre. Die westlichen Alliierten, so wurde später bekannt, hatten ein stilles Veto eingelegt. Doch die in der Bundesrepublik einmalige Truppe litt unter einer inneren Auszehrung: gefrustet über das Nichtstun und politisch überholt durch die neue Ostpolitik Brandts, sank die Reservistenzahl ständig.

Dafür kamen die Mannen auf andere Gedanken, was mit ihrer Ausbildung anzufangen wäre. Die sogenannte „Hammer-Bande“ sorgte Ende der siebziger Jahre bei den teuren Juwelieren der Stadt für erhöhte Transpiration, weil die Bande mit schwerer Apparatur die Schaufenster leerte. Gelernt hatte die „Hammer-Bande“ bei der Freiwilligen Polizei-Reserve.

Dennoch blieb die Truppe das Sammelbecken für Waffennarren und Ordnungsrambos, die an Maschinenpistolen und Gewehren eine paramilitärische Ausbildung erwarben. Auch vor den jetzt bekanntgewordenen Verbindungen zu rechtsextremen Gruppen gab es immer wieder mal den Verdacht einer rechten Anfälligkeit der „Möchtegern-Sheriffs“ (Grüne).

Obwohl nach den Ostverträgen gänzlich antiquiert, bekam die Polizei-Reserve neue Aufgaben. Vorher waren die Männer höchstens mal damit beschäftigt worden, die bei einem Orkan bedrohten Bestände der Staatsbibliothek auszulagern, bei einer „Aktion Borkenkäfer“ den Wald zu fegen oder 1967 gemeinsam mit den „Jubelpersern“ Spalier für den Schah zu stehen, während im Hinterhof Benno Ohnesorg erschossen wurde. Die Furcht vor Terroristen verschaffte der als „Geister-Armee“ bespöttelten Reserve neue Arbeit. Fortan übernahmen die Mitglieder auch den Schutz bedrohter Bauten und verteidigten die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ auch auf Demos. Da wurde dann auch schon mal hart zugelangt. Der damalige Innensenator Lummer, der sich um die intensive Aktivierung der Hobby-Polizisten verdient machte, nannte sie seine „liebste Selbsthilfegruppe“. Reservisten sicherten den Reagan-Besuch ebenso wie das IWF-Spektakel 1988 oder das KSZE-Treffen im Sommer 1991.

Der Kreatur des Kalten Krieges endgültig den Garaus machen wollte die Alternative Liste, nachdem selbst die Gewerkschaft der Polizei die Einheit als überflüssig einstufte. Die Auflösung stand zwar 1989 in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung, doch die SPD verhinderte die Umsetzung – obwohl der Mauerfall wenig später der Reserve endgültig das Feindbild raubte. Die CDU hatte es deswegen leicht, in der großen Koalition die SPD auf die weitere Existenz einzuschwören. Vereinbart wurde sogar, die Aufgaben der Hilfs-Polizisten zu erweitern. Die Truppe – zu der seit 1986 auch rund 250 Frauen zählen – darf nun bei Verkehrskontrollen, bei der Überwachung von U- und S-Bahnen und zum Streifendienst in Forsten und Friedhöfen eingesetzt werden. Die Kritik, beispielsweise der FDP, an der „ineffizienten“ und „teuren“ Truppe, steckte der Senat weg. Schließlich betragen die direkten Kosten für die knapp 3.000 Mitglieder die Stadt jährlich 2,5 Millionen Mark; hinzu kommen die indirekten Kosten: weil ein Fünftel der Mannschaft im öffentlichen Dienst arbeitet, zahlt der Steuerzahler auch für deren Freistellungen. Stillschweigend eingezogen wurde aber vom Senat ein altes Argument für die Existenz der FPR: die Einheit sei notwendig, weil es in Berlin wegen der alliierten Vorbehalte keinen Bundesgrenzschutz geben dürfte. Aber auch das hat sich seit dem Mauerfall geändert. Gerd Nowakowski

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen