piwik no script img

Durchs DröhnlandKlötzchenbauweise is God!

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der Woche

Frauenfigur liegt im Wüstenstaub, darüber goldgelb die Buchstaben „Dirt“. Ist es Halfzware- Werbung („Samson“)? Ist es das Startmenu für ein neues Videospiel? Nein, es ist schwerrockende Cover-Ästhetik, die dem Inhalt in etwa gerecht wird: Alice In Chains machen, nun ja, „Grunge“. Seit selbst der Spiegel den „Sound einer frustrierten Jugend“ entdeckt hat, heißt ja bekanntlich alles so, was in Seattle, um Seattle und um Seattle herum vor sich hinrockt; Bands, die, das will die Legende nun mal, ihr Equipment in einsamen Lagerhallen unweit der krisengeschüttelten Boeing-Werke aufgebaut haben und sich nächtens Gitarrenschlachten liefern, während der Industriewüstenwind über die bangenden Köpfe hinwegfegt... Alice In Chains kämpfen allerdings zunehmend in der überregionalen Liga, fast schon Gewichtsklasse Monsters Of Rock. Mit Anthrax, Megadeth und Slayer haben sie im letzten Jahr getourt, die Ur-Monster der Siebziger sind auch nie besonders weit. Nirvana hat's natürlich auch in diesem Fall erst möglich gemacht, aber alles kommt hier noch satter, noch dreister, noch teenage-spirit-mäßiger. Ohne mit der Wimper zu zucken, wagt sich die Band sich bis zu den Klippen des Mainstreams vor, verzichtet dann aber doch generös auf störendes Stuck- und Schmuckwerk. Statt sich anzubiedern, spekuliert man auf den ideellen Gesamtrocker, der in uns allen schlummert. Gitarrist Jerry Cantrell: „Ich möchte große Songs schreiben, die Menschen auf der ganzen Welt berühren.“ Mir fällt bei diesem Satz ein Kaffeefahrten-Handzettel ein, der sich über Wochen hinweg im häuslichen Briefkasten einfand und „Gänsebratenessen satt“ versprach. Kann mir jemand sagen, warum? (Bitte nur ernstgemeinte Zuschriften!)

Klarer liegt der Fall bei den Screaming Trees, die als „Special Guest“ mit von der Partie sind: Neo-Seventies-Rock mit Credibility, der sich aus dem Nucleus des ruhmreich verblichenen SST-Labels herausentwickelt hat – eher Neil Young als Uriah Heep. Trotz Major-Label-Vertrag, trotz eingetragenem Warenzeichen „Grunge“, trotz Gütesiegel „Seattle“ irren die Trees immer noch fragend und rufend durch ihr eigenes Sound-Gebäude. So soll's doch sein, so ist's doch gut. Musik für das bessere Flanellhemd in dir.

6.2., 20 Uhr, Huxley's Neue Welt, Hasenheide , Kreuzberg

Hamburg, die alte Schatzstadt, und ihre Szene bestechen immer wieder durch avantgardistische Leistungen in Fragen radikalen Juvenilseins. Es wimmelt von Allwissenden Billardkugeln, Ostzonensuppenwürfeln, die Krebs machen und anderen Tolldreistigkeiten. Auch Halleluhjah Ding Dong Happy Happy gehören zum eisernen Bestand der sogenannten Hamburger Schule (fast alle einträchtig vereint bei den Labels L'Age D'Or und What's So Funny About) und wären unter günstigeren historischen Umständen vielleicht eine lupenreine Sixties- Band geworden. Heute, wo das seit längerem ausgereizt ist, integrieren sie Restbestände aus Jam- Songs und Schrammelbeat-Versatzstücke in teils englisch, zum größeren Teil deutsch gesungene Kauderwelschigkeiten, die thematisch den Mikrokosmos Hamburger Gymnasiastentums abstecken: trinken, dichten und Sex haben mit höheren Töchtern. „Du kannst danach greifen/Es ans Licht zerren/Überall Durst, Tränen, Leute/Und 1.000 Dinge hier/ Land gewinnen“. Das sitzt einfach, da kann man sagen, was man will. Hamburger Klötzchenbauweise will never die! Hamburger Klötzchenbauweise is God!

6.2., 21 Uhr, Kulturzentrum Wabe

Wer sich Toad The Wet Sprocket nennt, dem muß schon einiges am Arsch vorbeigehen. Oder eben gerade nicht. Unter dem hochsensiblen, bestimmt aus schwererem Grübeln geborenen Namen haben sich vier schmächtige, teils offensiv bebrillte Jungs aus Santa Barbara/Kalifornien zusammengeschlossen. Ihr Ziel: der Welt zu beweisen, daß sich auch in den Neunzigern noch eine Musik ohne Sampling, Rhythmusmaschinen und all das moderne Teufelszeug machen läßt. Es handelt sich also weniger um eine Band als um eine Liga zur Rettung des Popsongs in seiner schwindenden Gestalt. Als solche verteidigen Toad The Wet Sprocket Melodie, Rhythmus, Timbre, Phrasierung, Schmelz und was sonst noch so zum originalen Bausatz dazugehört. Detailtreue ist gefragt. Das ist unter heutigen Bedingungen natürlich mühselige Pfriemelarbeit, aber hie und da gelingt es ihnen tatsächlich, den Untergang des Pop-Abendlandes für die Dauer eines Songs aufzuhalten. Augenzeugen berichten, daß das Engagement für den bedrohten Song im Konzert sogar noch erfreulichere Früchte trägt. Gediegenes Handwerk mit Folkie-Einschlag ist zu erwarten, vielleicht sogar Momente jener Rührung, die entsteht, wenn sympathische Neurotiker sich auf der Bühne in die Enthemmung hotten.

9.2., Uhr, Loft, Nollendorfplatz

„Doin' it right, day and night, doin' it right, day and night, doin' it right, day and night“ – überraschend starker Anfang für eine Band, die seit immerhin 16 Jahren im Party-Service tätig ist, und es, im Gegensatz zu so vielen anderen, geschafft hat, weder kindisch zu verernsten noch seriös zu verblöden. Überhaupt war „Good Stuff“ von den B-52's die Platte, mit der keiner mehr gerechnet hatte after all these years. Diese ganzen Spaß-Grooves, Fun-Melodien, Enterprise-Anzüge und Raumfahrer-Attitudes! – als wäre „New Wave“ nie gealtert. Doch so wie Astronauten, die nach erfolgreicher Landung vom „blauen Planeten“ schwärmen, scheint auch der jahrelange Aufenthalt in outer space die Band der Erde eher nähergebracht zu haben. Veritable New-Age-Einsprengsel (Farne! Seekühe! Wasserlilien!) vermählen sich aufs zarteste mit dem bekannten New-Wave-Fundus. Kate Pierson engagiert sich gegen Pelzmäntel und für Artenschutz, und „Revolution Earth“ ist die Hymne, die dem allem den passenden Drive gibt: „Frost on the jungle vine, melting in the sunshine, snow on the mountain tops, Piling high in love cups!“ Trotzdem macht die Band nicht den Fehler, ernsthaft Sense machen zu wollen. Die B-52's sind keine Ministers für irgendwas. Wenn sie in ihrem heutigen Mutationsstadium ganz gut in die Ära Clinton passen, dann nicht so sehr als Sidemen von Politikern denn als singende Propagandisten so urdemokratischer Phänomene wie Hot Pants, Mascara und Curacao Blue.

10.2., 20 Uhr, Deutschlandhalle

Thomas Groß

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen