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Kunst-Köche im Kollektiv

In den Berliner Kunst-Werken suchen zehn KuratorInnen ein Programm  ■ Von Harald Fricke

Noch immer traut sich kein Hausbesitzer, die verrotteten Fassaden in und um das Scheunenviertel zu modernisieren und der Kiezidylle nach dem Willen des Kulturamtes Mitte und einiger Kunstkommunarden ein jähes hauptstädtisches Ende zu bereiten. Einzig in der Auguststraße 69 hat sich das Klima geändert: im Ausstellungsraum parterre riecht es nicht mehr nach den Fischen der angrenzenden Fabrik. Die Kunst-Werke e.V. sitzen nach bald eineinhalbjährigen Aktivitäten fest im Sattel der kulturellen Gemeinnützigkeit. Mit einem „spätbarocken Vorderhaus und einem im Hof sich anschließenden gründerzeitlichen Fabrikgebäude“ bieten sie nicht unbedingt ein olympiareifes Werbekonzept im Wettlauf mit den Hauptstadtverwaltern um den teuer gehandelten Standort an. Da wäre eher der Denkmalschutz als das wilde Künstlertreiben gefordert, doch noch darf „die großzügige Nutzfläche“ Platz für 20 Ateliers und etwa 800 Quadratmeter Ausstellungsfläche bieten.

Aus dieser Selbstbeschreibung auf ein Big Sur in Mitte oder an Worpsweder Verhältnisse zu glauben wäre zu kurz gegriffen, wenn nicht anachronistisch. Nicht alleine Künstlerträume werden im Hause wahr gemacht. In den Kunst-Werken erwartet den Neuankömmling vor allem eine Armada aus Kritikern, Kunstvermittlern, Kuratoren und Ausstellungsmachern mit mehr oder weniger pädagogischer Erfahrung und öffentlicher Reputation. Sie wollen sich nicht allein mit muffiger Verwaltungsarbeit abspeisen lassen, sondern haben große Pläne: eine Art Wiedergeburt der Avantgarde aus dem Geist der Kunstkritik. Nach einem ersten kurzen Sommer der Kuratoren, den man im Namen der Kunst- Werke Berlin unter der Schirmherrschaft von Klaus Biesenbach in einer konzertierten Aktion via „37 Räume“ vom 14. bis zum 21. Juni 1992 geprobt hatte, geht das Kuratorenmodell nun in die Verlängerung. Nachdem die einwöchige Spielwiese im Off der Oranienburger Straße von diversen Kritikern als Alternativ-Establishment mächtig gescholten worden war, hat sich jetzt ein Stamm von zehn unermüdlichen AusstellungsmacherInnen gefunden, die als Grundkonsens das Vermittlungskonzept weitertragen. Schon während der Planungsphase zu den „37 Räumen“ hatte sich reges Interesse an einer über das Happening hinausreichenden Zusammenarbeit herausgebildet. Im September letzten Jahres machte dann der Verein Kunst-Werke e.V. daraus Nägel mit Köpfen. In einem Rundschreiben gab der Vorstand bekannt, daß sich von nun an ein Gremium konsultieren werde, daß über die Vergabe von Arbeitsateliers, Ausstellungen und die Durchführung sonstiger Aktivitäten in und um die ehemalige Margarine-Fabrik entscheide. Die Mitglieder wurden „vorbehaltlich der Zustimmung, Bereitschaft und Möglichkeit zur Mitarbeit“ gewählt, so das Papier im Wortlaut.

Ganz so fundamental vereinsmeiernd hat das Kuratoren-Kollektiv dennoch nicht zueinander gefunden. Nicht die Wahl, sondern das individuelle Ausharren hatte über die jeweilige Veranlagung zur Würdenträgerschaft entschieden. Im Grunde waren nur die unermüdlichsten AusstellungsmacherInnen vom „37 Räume“-Projekt übriggeblieben, die man nun im nachhinein zu offiziellen Repräsentanten des Hauses erklärte.

Wenn auch der Gründungsakt irgendwo im Dunkeln verlief, so hat man in den Kunst-Werken doch mittlerweile ein lockeres, grundsatzdemokratisches Netz geknüpft, in dem sich die Mitglieder als legitimes „Kuratoren-Parlament“ empfinden. Das Geschäft des Projektplanens verstehen sie in der Tat besser als alle anderen Institutionen in öffentlicher Hand. Zur Berlinale hat man das Videofest der Medienoperative ins Haus geholt; im April wird die in Sachen Post- und Pop-Artismen beschlagene New Yorker Kunstkritikerin Kim Levin eine Ausstellung zu Sex, Macht und Gewalt inszenieren, die von einer Parallel-Veranstaltung durch den Minimal Club begleitet wird. Ebenfalls noch für das Frühjahr hat man den Konzept-Künstler Joseph Kosuth eingeladen und für eine umfangreichere Präsentation der Mediengruppe büroBert, die eine Festbindung an den Ausstellungsort mit Sicherheit sprengen wird, soll der Diskurs um Öffentlichkeit über den Stadtraum hinaus in die Kulturkanäle eingespeist werden. Und Thomas Wulffen will Pynchon nach Berlin holen.

In diesem aktivistischen Allerlei ist nur schwer ein Programm zu erkennen, mit dem die Kunst-Werke in der kommenden Zeit eine Kurskorrektur für Berlin vollbringen wollen. Vielleicht werden da doch von zu vielen Köchen zu verschiedene Süppchen gekocht. Denn auch wenn das Gremium eine „Offenheit“ durch die Fülle seiner Mitglieder gewährleisten will, sind die Wurzeln der Kunst-Werke-Kuratoren allein schon divergent genug, um an einer stimmigen Konzeption zweifeln zu lassen. Da treffen plötzlich mit Barbara Straka und Brigitte Sonnenschein zwei bislang für den NBK beziehungsweise für die Berliner Kunsthalle agierende Projektleiterinnen auf KritikerInnen wie Sabine Vogel, Peter Funken oder Thomas Wulffen, die bislang zumindest in punkto Kunsthalle beständig auf Distanz gegangen waren. Man muß sich jedoch nicht gleich berühren, die Arbeit ist weniger kollektiv als rhizomatisch ausgerichtet, der Informationsfluß entscheidet: Jeder kommt, bringt Ideen mit und kann an anderem Ort das Haus in Symposien, Gesprächen oder Diskussionsrunden offiziell repräsentieren. Das Ganze erinnert an eine wilde Ehe unter Nomaden. Auch dies ein Beitrag zur Neuordnung der Berliner Verhältnisse. „Wir werden die Mauer sehr hoch ziehen, was die Qualität betrifft“, frotzelt Wulffen über die Folgen der Vereinigung mit den öffentlichen Kunst-Organisatorinnen. Andererseits richten sich die unterschiedlichen Parteien durch ihre Interessenlage recht ausgewogen ein, da die Gesamtheit der Kuratoren als regulatives Konzept funktioniert. Zudem hat der vierköpfige Vereinsvorstand die letztendliche Entscheidungsgewalt über eine allzusehr ins Kraut schießende Kura. Einzelgänge werden geduldet, solange dadurch niemand zum alleinigen Projektleiter avanciert. Es ist, als hielten sich die Ideengeber gegenseitig in Schach.

Die Querelen innnerhalb der Kuratorenschaft bereiten nur geringe Sorgen. Vielmehr muß insbesondere die Frage der Finanzierung zu jeder Ausstellung neu geklärt werden. Der Senat hat zwar bislang ein reges Programm ermöglicht, doch muß jede Unterstützung einzeln beantragt und bewilligt werden. Am Jahresende standen dabei zuletzt Ausgaben von etwa 250.000 DM einem Budget von über einer Million DMbei Kunstvereinen in einer vergleichbaren Größenordnung gegenüber. Wundern sollte sich der selbstinstallierte Kunstverein darüber kaum. War man zu Beginn noch angetreten, um den allseits geforderten Dialog mit dem Osten einzulösen, so besteht das Atelierprogramm inzwischen fast ausschließlich aus Westkunst. Notgedrungen, wie Klaus Biesenbach einräumt, denn um einen vernünftigen Auslandsaufenthalt zu ermöglichen, müßte man ganz andere finanzielle Grundvoraussetzungen gewährleisten: mindestens 1.000 DM für Wohnung, Leben und einen Sprachkurs. Nun warte man ab, inwieweit der bisherige Austausch gefruchtet habe. Schließlich hätte sich auch in der ehemaligen Sowjetunion das kulturelle Klima verbessert. Aufgrund des Engagements der jugoslawischen Kunsthistorikerin Bojana Peijic ist es bislang gelungen, zumindest zusätzlich Künstler vom Balkan einzuladen, und im Januar 1994 wird mit Monastirsky auch einer der bekanntesten Vertreter neuer russischer Konzept- und Videokunst das Haus frequentieren.

Zur Zeit in den Kunst-Werken: Fritz Balthaus, Sabine Hornig, Alyssa de Luccia, Ulrike Grossarth, Gero Gries und Günther Unterburger

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