: Cassius' letzte große Chance
■ Boxen: Markus Boot kämpft am Sonnabend gegen Tyrone Booze um Weltmeisterschaft
Markus Boot kämpft am Sonnabend
gegen Tyrone Booze um Weltmeisterschaft
Die Reeperbahn-Spelunke „Zur Ritze“ ist die Hall of Fame der deutschen Berufsboxszene. Die Wände des Hinterzimmers sind mit Fotos tapeziert. Boxer in Pose, Boxer, die schweißüberströmt Uppercuts oder Geraden schlagen. Boxer mit Siegerkranz und hochgestreckten Fäusten. Boxer in schwarz-weiß oder in Farbe, mehr oder weniger vergilbt. Meist mehr, denn die große Zeit des Sports liegt, wenn es sie in Deutschland je gab, lange zurück. Drei Schritte von der geschwungenen Theke mit der Warntafel „Wenn du trinkst, um zu vergessen, zahle vorher“ hängt postkartengroß ein ziemlich frisches Bild. Es zeigt einen auf die Kamera gerichteten roten Handschuh mit der Aufschrift „Europameister '90“. Hinter dem Handschuh ist ein Gesicht zu erkennen. Es gehört Markus Bott. Sonnabend boxt der 31jährige aus Pforzheim um die WBO-Weltmeisterschaft im Leichtschwergewicht.
Die Sache mit dem Foto hat einen Haken: Bott ist nie Europameister gewesen, weder als Amateur noch während seiner 24 Profikämpfe. Er hatte das Autogramm gegeben, bevor er gegen den Engländer Johnny Nelson in den Ring stieg und durch K.O. verlor. Großmäuligkeiten dieses Schlags haben ihm den Beinamen „Cassius“ eingetragen. Boxerisch gibt sich der Pforzheimer seit jeher bescheidener. In den zwei Jahren seit der EM-Niederlage kassierte Markus nach einer Dopingsperre bei einem Ausflug ins Schwergewicht noch eine derbe Tracht Prügel von einem 104-Kilo-Boxer, polierte seine Bilanz mit Siegen gegen viertklassige Fighter auf.
So gesehen ist es ein Aufstieg, um den Gürtel eines drittklassigen Box-Weltverbandes zu kämpfen. Die erst 1987 gegründete World Boxing Organisation (WBO) ist einer von vier Weltverbänden, die in mittlerweile 17 Gewichtsklassen 68 Titel vergeben (vor 25 Jahren gab es insgesamt nur acht Weltmeister). Eine Folge der Kommerzialisierung, denn nur Titelkämpfe sind lukrativ für die ins Box-Geschäft drängenden TV-Sender und somit für die Veranstalter. Der Pay-TV- Sender Premiere etwa zahlt 450000 Mark für den Hamburger Boxabend. Der Box-Promoter Klaus-Peter Kohl hat Kosten von etwa 500000 Mark, so daß es beim bisherigen Verlauf des Vorverkaufs (nahezu ausverkauft) abzusehen ist, daß der Kampf zum großen Reibach wird.
Gegner in der Alsterdorfer Sporthalle (ab 20 Uhr) ist Tyrone Booze, USA. Der 34jährige, der bereits gegen Boxprominenz wie den vormaligen Schwergewichtsweltmeister Evander Holyfield boxte und nur nach Punkten verlor, über die Chancen von Bott: „Für den bin ich eine Nummer zu groß“. Und er fragte Bott auf der Pressekonferenz, ob er am Samstag überhaupt kommt. Vor Wochen hatte er sich bei einem Manager erkundigt: „Wer ist der Idiot, gegen den ich da boxen soll?“ Der Herausforderer konterte: „Booze wird am Kampftag eine Schwäche haben, und die heißt Markus Bott. Das wird sein Tod sein.“ Es ist die Chance des Lebens. Für ihn, der sich bislang meist mit unter 10000 Mark pro Kampf bescheiden mußte,
1ist das große Geld greifbar nahe. Nach erfolglosen Versuchen als Maler, Altenheimsanierer und Bodyguard sagt er: „Als Weltmeischta bin i in eim Jahr Millionär.“
Dafür hat er sich im Training „bis zur Kotzgrenze“ reingehängt, ist konditionsstärker denn je. Boxerisch bleibt er ein simpler Schlag- drauf-und-schluß. Die Frage ist deshalb weniger, ob Bott eine Siegchance hat, sondern wie er überhaupt Nr. 1 der WBO-Rangliste werden konnte, obwohl er nach Einschätzung von Experten „nicht mal zu den 50 Besten seiner Gewichtsklasse gehört.“ Ein Insider zu der in Amerika üblichen Praxis: „Für 20000 Dollar kann man sich da einkaufen.“
Wenn Bott am Sonnabend verliert, wird dies keinen interessieren. Gewinnt er, wird keiner darüber reden. Am wenigsten in der „Ritze“. Die Galerie im Hinterzimmer hätte einen neuen Helden. Und davon ab weiß jeder hier aus Erfahrung: Egal, wer gewinnt; am Ende zahlen sie alle drauf.
Thomas Hersmehl
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