Sanssouci: Vorschlag
■ Papenfuß' "Nunft": das Buch zum Begriff
„Nunft“ heißt es, das neue Werk des ganz in Leder gekleideten Poeten Bert Papenfuß-Gorek. „Nunft“ ist seine amputierte Variante des uns so lieb gewordenen Begriffs „Vernunft“, womit bekanntlich alles anfing – in Deutschland. Aus „Vernunft“ wird – so wußte es bereits Mephisto im „Faust“ – „Unsinn“; und aus „Wohltat“ „Plage“ (V. 1976).
Das auch schon über dreißigjährige Enfant terrible vom Prenzlauer Berg (1956 in der von Armeeobjekten umzingelten Provinzstadt Stavenhagen geboren), läßt „keinen goethe auf dem anderen“. Und entwirft, nicht nur mit diesem Band (dem zweiten im Steidl Verlag), eine Art Negativutopie, an deren Ende nur zweierlei Dinge ihre Gültigkeit behalten: das Schreiben (oder „Dichten“) und der Koitus. Letzteres beherrschen die meisten irgendwann, ersteres nur wenige. Dazwischen liegt die Grauzone, die den Frust des Dichters abbekommt.
Zum Beispiel Politik: „man braucht nur noch/ sandmann, lieber sandmann/ solange politiker liquidieren/ bis sie ihrer überflüssigkeit gewahr sind.“ Als illustrative Beigabe sehen wir eine Vergewaltigung des Sandmanns Ost durch Sandmann West. Doch man weiß, die anarchistischen Hoffnungen des Dichters bezüglich der Politiker gehen nie in Erfüllung.
Selbst jene bleiben nicht verschont, die Besseres wollen: „bärbel ,backbrumme‘ bohley/ herzzerreißend zerschissest du unser aller aushängeschwert/ das doch die heimleuchte gewesen der ddr-friedensbewegung...“ Die Abneigung, mehr als rigoros, gegen alle und alles mit moralischen Ambitionen, ist mehr als nur ästhetisches Prinzip. Sie ist abgrundtief und schon zu Zeiten der DDR geboren worden. Von daher versteht sich auch, warum es Papenfuß egal ist, daß sein langjähriger Freund Sascha Anderson bei der Stasi war. Bei der dem Buch beigefügten CD durfte Anderson mitsingen. In dem Gedicht „ein superheidenmediengedudel“ heißt es gar: „o.k., die stasi z.b./ hat sinn gemacht/ weil die masse/ kein' mehr hatte...“ Die poetische These mutiert jedoch flugs zur politischen und gibt jenen Schmalbrustpolitikern Nahrung, die von dem Thema nichts mehr wissen wollen.
Doch das eigentliche Feld des Poeten ist das permanente Untergraben herkömmlicher Sprachregelungen. Bestehende Wörter oder Redewendungen werden geknackt wie Krebse, verwandelt und ab und zu mit „Flügeln“ (Gerhard Wolf) versehen; aus Programmvorschau wird pogromvorschau, aus Cholera wird kohlära und aus Grüß Gott und Willkommen wird kotz gott und kollwommen usw. Eine wahre Hexenküche zerkocht das uns gebräuchliche Kommunikationsmaterial zu Brei, der, leicht gezuckert, durchaus zu einem gewissen literarischen Vergnügen werden kann. Denn „DER WILLE ZUM GEDICHT bricht/ sich bahn,/ kollege kommt gleich/ zu den waffen/ ergossend ersah ich/ zartsächlichkeit im tümeleitaumel/ sexlichkeit ist eine zier/ ich schreibe so laut ich kann/ aber es ist dunkel/ & mich labt angst.“ Hendrik Röder
Bert Papenfuß-Gorek: „NUNFT“. FKK/IM. Gedichte mit CD. Steidl Verlag 1992, 34DM
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