: Ex-Kommunist gegen Ex-Emigranten
■ Chancen für Brazauskas in Litauens Präsidentenwahlen
Warschau (taz) – Wenn am Sonntag zweieinhalb Millionen Litauer bei den ersten Präsidentschaftswahlen seit 50 Jahren ihre Stimme abgeben, steht ein Verlierer bereits fest: Vytautas Landsbergis, Volkstribun, Ex-Parlamentspräsident und Musikprofessor, der Litauen an der Spitze der Volksbewegung „Sajudis“ in die Unabhängigkeit führte und die Bewegung dann so ins nationalistische Abseits führte, daß sie bei den ersten freien Parlamentswahlen im letzten Jahr mit Pauken und Trompeten unterging. Die Mehrheit im Parlament von Vilnius hat nun die „Demokratische Partei der Arbeit“, die aus der litauischen KP entstand und die von Algirdas Brazauskas angeführt wird.
Brazauskas hat denn auch am Sonntag die besten Chancen. Landsbergis dagegen warf bereits vor Wochen das Handtuch und forderte seine Anhänger auf, für Stasys Lozoraitis, den bisherigen litauischen Botschafter in Washington, zu stimmen. Fünf weitere Kandidaten gaben mangels der nötigen Zahl an Unterschriften auf.
Übrig blieben Brazauskas und Lozoraitis. Der Chef der Linken hat dabei den Vorteil der Bekanntheit: Er war es, der die litauischen Kommunisten aus der KPdSU löste; mit der späteren Premierministerin Prunskiene und Landsbergis stand er an der Spitze der Sajudis- Bewegung. Lozoraitis dagegen verließ Litauen vor 50 Jahren, ist allenfalls als litauischer Geschäftsträger und Botschafter in den USA und beim Vatikan bekannt.
Doch während Brazauskas vor allem auf Wähler vom Lande und in den Industriezentren rechnen kann, unterstützt das Bürgertum in den beiden Großstädten Kaunas und Vilnius eher Lozoraitis. Dieser hat letzten Umfragen zufolge inzwischen erheblich aufholen können. Eine Umfrage der Universität Vilnius und des amerikanischen Gallup-Instituts ergab zwei Wochen vor den Wahlen, daß bis zum Wahltermin aus dem klaren Vorsprung von 51 zu 29 Prozent für Brazauskas leicht ein Kopf-an- Kopf-Rennen werden könnte. Lozoraitis wird von allen Parteien der Sajudis-Bewegung unterstützt, Brazauskas kann auf die regierende LDPA und die nationalen Minderheiten, besonders Russen und Polen, rechnen. Zugleich werden auch die Kommunalvertretungen in den von der polnischen Minderheit bewohnten Gebieten neugewählt. Die polnischen Kreisräte waren 1991 nach dem August- Putsch in Moskau aufgelöst worden. Die dann eingeführte Zwangsverwaltung durch die Zentralregierung war Hauptgrund der bis zur LDPA-Machtübernahme gespannten Beziehungen zwischen Litauen und Polen. Klaus Bachmann
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