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Die Info-Elite, das sind wir doch selbst...

■ Zur Markteinführung der Zeitung 'Die Woche' versammelt Chefredakteur Manfred Bissinger seine Zielgruppe

versammelt Chefredakteur Manfred Bissinger seine Zielgruppe

Zeitungsherbst zum Jahresbeginn — die Blätter werden bunt. Das Münchner Burda-Magazin Focus hat es vorgemacht: jede Menge grelle Farbe auf allen Seiten. Der Spiegel mußte prompt beweisen, daß er es besser kann: Buntfotos im gediegenen Vierfarbdruck. Seit gestern drängt sich Die Woche aus dem Hamburger Hoffmann und Campe Verlag auf: mit koloriertem Gebälk und einer Flut von Porträtfotos, aus denen die Abgebildeten allesamt recht ungesund herausschauen. Und auch die im Gruner + Jahr Verlag erscheinende (Ost-)Berliner Wochenpost kann sich dem Trend nicht entziehen, ihre dieswöchige Ausgabe kommt erstmals stark geschminkt auf den Westmarkt.

Helmut Kohl wird die weise Frage zugesprochen (gestellt beim Besuch der Frankfurter Buchmesse): „Wer soll das alles lesen?“ Sie wäre auch angesichts der neuen Blätter berechtigt, wegen ihrer optischen Präsenz vielleicht etwas modifiziert: „Wer soll sich das alles angucken?“ Die Neuen haben sich, weil sie wissen müssen, an wen sie sich wenden sollen, eine Zielgruppe geschnitzt, die sie einschmeichelnd „Infoelite“ nennen. Wer wäre nicht gerne Teil von ihr!

Wer aber darf ihr angehören? Woche-Chefredakteur Manfred Bissinger und sein Verlagschef Thomas Ganske haben am vergangenen Mittwochabend die (überwiegend) hamburgische Infoelite im Verlagshaus an der Außenalster zusammengetrieben, wohl zur Bestandsaufnahme, und um sich der Zuneigung der bedeutenden Menschen (natürlich alles gute Freunde!) zu vergewissern.

Um einen Stehplatz im Foyer und in der Schlange vor den Kartoffelsuppentöpfen drängte sich — man hätte es wissen können — die ortsübliche Halb- und Dreiviertelprominenz. Nun haben wir an dieser Stelle zwar nicht den Platz, die im Hamburger Abendblatt so beliebte Gästeliste im Kleindruck wiederzugeben, sind unseren Lesern aber doch den Überblick über die elitäre Herde schuldig.

Da wäre zuvörderst, in enger Fühlung zu den Bartstoppeln des Chefredeakteurs, der sozialdemokratische Hamburger Medien- und Kulturfilz — stellvertretend seien die Familien Rühmkorf, Duve und Bohm genannt. Etwas distanzierter die politische Klasse, die dennoch entschieden ihr Dazugehören demonstriert: Innensenator Hackmann und Parlamentspräsidentin Elisabeth Kiausch beispielsweise. Dann die beflissen weltläufigen Werbe- und Verlagsmenschen der gehobenen Gehaltsstufe. Sie sehen in ihren gedeckten Anzügen und Kostümen alle zum Verwechseln gleich aus, Namensnennungen sind deshalb nicht möglich. Weiter die Schriftgelehrten der Medienstadt, ihr Häuptling ist Wolf Schneider, Leiter einer Journalistenschule. Ein Abonnement auf alle gesellschaftlichen Ereignisse in Hamburg haben Fernsehfiguren wie Jürgen Roland und Denes Toerzs. Die Hofnarren dürfen nicht fehlen, deren gediegenster Vertreter Gregor Gysi und deren aufdringlichster Exponent der ewig weinselige Horst Janssen ist. Verstreut auf den Etagen, weil untereinander in Konkurrenz zerstritten, ist die größte Gruppe: die zeilengeldabhängigen freien Journalisten, die in dem neuen Blatt eine Honorarquelle wittern. Unverfrorener, mithin redlicher vertreten einige andere halbseidene und stets klamme Medienschaffende ihr Anliegen: Sie werfen sich vordringlich ins Gewühl, um sich zu verproviantieren und sodann mit dem Sektglas in der Hand über die restlichen Anwesenden das Maul zu zerreißen. Zu ihnen gehören der Fotograf Günter Zint (er möge verzeihen) und — Schluß mit der Selbstgerechtigkeit! — wohl auch der Autor dieser Zeilen.

Nehmen wir einmal an, daß das Premierenpublikum bei Hoffmann und Campe tatsächlich auch das

1Kernpublikum der neuen bunten Blätter ist. Dann wäre zu vermerken, daß die Medienkaste sich selbst bedient. Gemeinsam ist ihr vor allem die Lust am gehobenen Infotainment. Die Inhalte sind nachrangig (das entlastet uns da-

1von, hier auch noch über Journalismus räsonieren zu müssen), das Erscheinungsbild ist die Message — das Printmedium macht dem Fernsehen Konkurrenz, wir können endlich in Farbe Zeitung lesen.

Michael Berger

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