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■ Interview mit der polnischen Premierministerin Suchocka„Kein neuer Eiserner Vorhang“

Hanna Suchocka ist Polens bisher populärste Premierministerin seit der Wende von 1989, als mit Tadeusz Mazowiecki zum ersten Mal ein nichtkommunistischer Premier das Ruder in Polen übernahm. Die meisten Polen halten sie für intelligent und vor allem für gemäßigt. Diese Eigenschaft war es auch, die sie sowohl für die linksliberale „Demokratische Union“, der sie angehört, und die konservativ-nationale „Christnationale Vereinigung“ als Kompromißkandidatin akzeptabel erscheinen ließ. Sie hielt bisher die bunte Koalition, die neun rechte, linke, liberale und konservative Parteien umfaßt, zusammen. Bevor sie Premierministerin wurde, war die inzwischen 47jährige Posenerin Abgeordnete und Vorsitzende des Minderheitenausschusses. Zur Union kam sie, nachdem sie Mitte der achtziger Jahre aus der Blockpartei „Demokratische Partei“ ausgetreten war und sich der Solidarność angeschlossen hatte. Die Juristin gilt indessen als gläubige Katholikin und Vertreterin des rechten Flügels ihrer Partei.

taz: Den Kampf ums Budget haben Sie erfolgreich überstanden. Präsident Walesa hatte zuvor erklärt, er werde das Parlament auflösen, wenn dieses kein Budget verabschiede. Kaum war es verabschiedet, teilte er mit, das Parlament solle so oder so aufgelöst werden. Gleichzeitig führt die Opposition eine Kampagne für Präsidentschaftsneuwahlen. Wer sollte denn nun zuerst neu gewählt werden?

Hanna Suchocka: Das größte Übel in der jetzigen Situation wären Präsidentschaftsneuwahlen. Die Amtsdauer des Präsidenten ist durch die Verfassung festgelegt. Wenn wir jetzt schon damit anfangen, einen solchen Verfassungsartikel in Frage zu stellen, dann wäre das ein sehr schlechter Präzedenzfall für die Zukunft. Präsident Walesa sollte seine Amtszeit zu Ende führen, wie es die Verfassung vorsieht. Ich bin auch dagegen, in diesem Jahr noch Parlamentsneuwahlen durchzuführen. Das Parteiensystem befindet sich noch im Übergang, die Parteien haben noch keine klaren Programme. In dieser Situation Neuwahlen durchzuführen hieße, in anderthalb Jahren die nächsten machen zu müssen.

Selbst so unterschiedliche Politiker wie Adam Michnik und Jaroslaw Kaczynski sind sich in letzter Zeit darüber einig, daß Präsident Walesa seine Macht über Gebühr auszudehnen bestrebt ist.

Wir haben seit kurzem erst eine neue Verfassung, und die entsprechenden Bräuche und Sitten müssen sich erst noch herausbilden. Die Verfassung gibt dem Präsidenten mehr Macht als bisher, aber wo ihre Grenzen sind, müssen wir erst noch herausfinden.

Ihr Europaminister Jan Krzysztof Bielecki hat Bonn vorgeworfen, es betreibe gegenüber Polen eine Großmachtpolitik.

Will man eine Asylpolitik, die darauf Einfluß nimmt, was mit Asylanten geschieht, die in ein anderes Land gelangen, erfordert dies eine Absprache mit diesem anderen Land. In diesem Kontext muß man Bieleckis Äußerung verstehen. Wir können auch eine entsprechende Asylpolitik betreiben und den Deutschen Hilfestellung leisten, aber erst nachdem wir ein entsprechendes Abkommen geschlossen haben.

Und was sollte in diesem Abkommen enthalten sein?

Vor allem das, womit wir einverstanden sind und unter welchen Bedingungen wir Menschen aufnehmen, die zufällig über unser Territorium nach Deutschland gekommen sind. Es muß klargestellt sein, auf welcher Grundlage sie zu uns zurückgeschickt werden können und ab wann. Wir können uns nicht einverstanden erklären damit, daß alle, die schon vor dem Abschluß eines solchen Abkommens gekommen sind, zu uns zurückgeschickt werden sollen.

Niemand kann einem anderen Land verbieten, seine Grenze abzudichten. Auch Polen macht das ja gerade an seiner Ostgrenze. In dem Moment, wo die Grenze zwischen Deutschland und Polen für illegale Grenzgänger dicht sein wird, ist damit zu rechnen, daß auch die Anzahl der Asylsuchenden in Polen selbst steigt – unabhängig davon, ob Deutschland auch nur einen abgelehnten Asylbewerber zurückschickt.

Und dann sollen wir uns auch auf diesen Standpunkt stellen und Asylbewerber wieder dahin zurückschicken, woher sie kommen? Das muß international geregelt werden. Und natürlich müssen auch wir unsere Grenze abdichten.

Egal mit wem nun welches Abkommen geschlossen wird, wird sich die Zahl der Asylbewerber auch in Polen erhöhen. Weil Polen eben inzwischen auch wirtschaftlich attraktiver geworden ist. Ist Polen darauf vorbereitet?

Auch wir müssen ein entsprechendes Asylverfahren einführen wie in den traditionellen Asylländern. Wir haben bisher im Traum nicht daran gedacht, daß wir für Asylbewerber attraktiv werden könnten. Die entsprechenden Gesetze sind in Vorbereitung.

Sie teilen also nicht die Ansicht, daß Polen es sich gar nicht leisten kann, mehr Asylbewerber aufzunehmen?

Sicher können wir uns das nicht leisten. Wir sind in einer sehr schwierigen Lage. Aber gerade deshalb müssen wir entsprechende Regelungen einführen, damit wir nicht plötzlich vor der Situation stehen, daß wir selbst solche Asylbewerber nicht aufnehmen können, deren Anliegen berechtigt sind. Natürlich können wir uns das nicht leisten, aber beachten Sie: Wir nehmen trotzdem Flüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien auf. Wir sind der Ansicht, daß es Fälle gibt, wo man einfach nicht anders handeln kann.

Es gibt darüber ja auch eine Debatte innerhalb der Regierung. Innenminister Milczanowski ist für die Einführung der Visapflicht für die östlichen Nachbarn Polens, Außenminister Skubiszewski ist dagegen. Wer entscheidet das?

Die Regierung als Ganzes. Ich denke, das wird auf einen Kompromiß hinauslaufen.

Polen hat ja selbst jahrelang für offene Grenzen gekämpft, da kann es jetzt ja nicht für andere das Gegenteil fordern.

Deshalb sind wir auch nicht mit den radikalen und restriktiven Forderungen von Minister Milczanowski einverstanden, nur weil wir selbst uns jetzt in einer besseren Lage befinden. Einerseits wollen wir unsere Grenzen besser absichern, andererseits aber auch nicht gegen die Grundsätze verstoßen, für die wir selbst gekämpft haben. Unsere offenen Grenzen dürfen aber auch nicht dazu führen, daß der Asylbewerberstrom weiter ungehindert gen Westen fließt.

Bielecki hat das sinngemäß so ausgedrückt: Der Preis für die Öffnung nach Westen ist, daß wir uns gegen Osten abschotten.

Ich weiß nicht, ob er das so gesagt hat. Auf jeden Fall ist es nicht unsere Absicht, einen neuen Eisernen Vorhang zu errichten. Aber wir können auch nicht zulassen, wie unsere Offenheit dazu führt, daß sich die Grenze an Oder und Neiße wieder schließt. Interview:

Klaus Bachmann, Warschau

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