: „Polens Hauptstadt ist Brüssel“
■ Nationale Parteien wehren sich gegen die Bildung von Euroregionen: Durch sie werde Polen zum fünften Mal geteilt
Warschau (taz) – Polens Neun- Parteien-Koalition steht vor einem neuen Konflikt. Anlaß ist die Gründung der Euroregion Karpathen im äußersten Südosten Polens in der vergangenen Woche. Sie soll die Zusammenarbeit auf lokaler Ebene über die Grenzen hinweg erleichtern und vereinigt zwei polnische Woiwodschaften sowie sechs Kreise in der Slowakei, drei in Ungarn und zwei in der Ukraine.
Bei der jüngsten Parlamentssitzung wurde mit den Stimmen von Christnationalen und Oppositionellem Zentrum Außenminister Skubiszewski verpflichtet, dem Sejm Rechenschaft über die Bildung der Euroregion Karpathen abzulegen. „Ich weiß, es gibt dunkle Kräfte, die Polens Grenzen aufweichen wollen“, warf der christnationale Abgeordnete Jan Lopuszanski dem Außenminister vor, „aber warum nehmen sie daran teil, um Gottes willen?“ Skubiszewski, der grenzüberschreitende Zusammenarbeit und auch die Euroregionen befürwortet, sagte, die Christnationalen wollten offenbar die Grenzen wieder schließen: „Mit mir wird es das nicht geben.“
In den Euroregionen sitzen Vertreter aller teilnehmenden Länder gleichberechtigt in einem Regionsrat, der Vorsitz rotiert jährlich. Vorsitzender für das laufende Jahr ist Adam Peziol, bis vor kurzem noch Vizewoiwode der Woiwodschaft Krosno, der vor wenigen Tagen erst von Ministerpräsidentin Hanna Suchocka zum Woiwoden von Przemsyl ernannt wurde. Er gilt als einer der treibenden Kräfte bei der Gründung der Euroregion. Die neue Institution ermöglicht vor allem, EG-Fonds für den Ausbau von Grenzübergängen, gemeinsamen Kläranlagen oder den Ausbau des grenzüberschreitenden Nahverkehrs in Anspruch zu nehmen.
Bei Polens nationalen Parteien dagegen gelten die Euroregionen als Versuch, die territoriale Einheit des Landes aufzuweichen. Vizepremier Goryszewski von den Christnationalen bezeichnete sie als Versuch einer „fünften Teilung Polens“. Wegen solcher Vorwürfe ist bisher auch die Bildung der Euroregion „Pomerania“ aus Pommern und Mecklenburg-Vorpommern nicht vorangekommen. Sie diene, so die Kritiker, nur Deutschland dazu, eine Milliarde Mark aus der Kasse der EG abzuzapfen.
Heftig kritisiert werden außerdem die Pläne des Kattowitzer Woiwoden, mit den Ortschaften in Mährisch-Schlesien einen gemeinsamen Städtebund zu gründen. In einem Memorandum der Opposition in Kattowitz wurde bereits die Entlassung des Woiwoden verlangt, da dieser Schlesien von Polen lösen wolle.
Die Debatte findet auch vor dem Hintergrund des anstehenden Parteitags der Christnationalen statt, bei dem sich die Fraktionsführung für ihre Kompromisse mit den anderen Koalitionspartnern rechtfertigen muß. Dennoch steckt mehr hinter dem Streit als nur Profilierungsversuche der Parteiführung. Auch in Przemysl, das Teil der Euroregion Karpathen ist, gibt es heftige Widerstände, besonders gegen eine Zusammenarbeit mit der Ukraine. Zwischen Lwow und Przemysl schwelt bereits seit Jahren ein heftiger Konflikt um die ukrainische Minderheit in Przemysl und die polnische in Lwow, der von Nationalisten beider Seiten noch angeheizt wird. Die Ernennung des Woiwoden Peziol, der ein Befürworter einer engeren Zusammenarbeit mit der Ukraine ist, führte in Przemysl zu heftigen Protesten.
Eine Bürgerinitiative, die bereits eine Kirche besetzt hatte und so deren Übergabe an die Ukrainer verhinderte, versucht nun, die Rückgabe ukrainischer Kirchen durch eine Klage vor dem Verfassungstribunal generell zu verhindern. In der vergangenen Woche kam es selbst in Krakow zu einer Demonstration ukrainischer Katholiken, die eine ehemals ukrainische Kirche in der Stadt zurückerhalten wollen. Ebenfalls in Krakow will eine Koalition aus Zentrum und einigen teilweise revanchistischen Kleinparteien sogar „alles tun, damit die Personen, die diese neue Teilung Polens vorbereiten, vor Gericht gestellt werden“. Die polnischen Nationalisten aus Przemysl werden in Warschau auch von der Zentrumsallianz unterstützt, die Opposition gegen die Regierung Suchocka macht. Deren Vorstandsmitglied Slawomir Siwek befand im Parlament sogar: „Die Haltung der Demokratischen Union ist eh klar: Polen ist überflüssig, denn die Union hat ihre Hauptstadt in Brüssel.“ Klaus Bachmann
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