■ Großbritannien demontiert das staatliche Gesundheitssystem
: Gestapelte Patienten

Das britische Gesundheitssystem rutscht immer tiefer in die Krise. Krankenhäuser, deren laufende Kosten über dem Durchschnitt liegen, müssen dichtmachen oder zumindest die Operationen stark einschränken. Allein im vergangenen halben Jahr wurden Krankenhäuser in London, Newcastle, Birmingham, Glasgow, Edinburgh und Belfast geschlossen. Diese Demontage ist der Nachlaß der ehemaligen Premierministerin Margaret Thatcher. In dem schwersten Eingriff in das staatliche Gesundheitswesen seit seiner Gründung im Jahre 1948 verpflichtete Thatcher Ende der 80er Jahre Allgemeinärzte und Gesundheitsämter, sich nach der jeweils billigsten Operationsmöglichkeit für ihre Patienten umzusehen.

Seitdem müssen die Krankenhaus-Lizenzen jedes Jahr erneuert werden, die billigsten Angebote erhalten den Zuschlag – eine Katastrophe für Krankenhäuser, die aufgrund von Spezialisierungen, geographischer Lage oder einfach nur „ungünstiger“ Räumlichkeiten teurer im Unterhalt sind als andere. Ausbildungskrankenhäuser und solche mit ausgedehnter Forschungsabteilung sind schon gar nicht wettbewerbsfähig, ebensowenig wie Hospitäler in den Innenstädten, wo die Mieten im allgemeinen höher sind. Und moderne Krankenhäuser, in denen die PatientInnen unter optimaler Raumausnutzung gestapelt werden können, sind gegenüber den riesigen viktorianischen Gebäuden allemal im Vorteil.

Diese Art von Supermarkt-Gesundheitsdienst hat jedoch noch heimtückischere Folgen. Er zwingt Krankenhäuser praktisch dazu, solche Dienste anzubieten, für die es einen Markt gibt. Das führt zu einem Konkurrenzkampf um PrivatpatientInnen. Dieses System bevorteilt die zahlungskräftigen KundInnen. Die Bedürftigen hingegen, für die das staatliche Gesundheitssystem ursprünglich gedacht war, mußten sich inzwischen ans Schlangestehen gewöhnen, da die Wartelisten für nicht- akute Operationen immer länger werden. Wer dagegen einem Anlagefonds für Privatpatienten bei Allgemeinärzten angehört, darf sich vordrängeln. Die britische Gesundheitsversorgung ist zu einem Zwei-Klassen-System verkommen. Marie O'Connor

Die Autorin ist Soziologin und freie Journalistin in Dublin.