: Unter dem Zeichen besserer Wirtschaftsbeziehungen
■ Das deutsche Handelsdefizit mit Japan erzwingt eine Neudefinition der Beziehungen zwischen der zweit- und drittstärksten Wirtschaftsmacht
Solange von der Handelsbilanz die Rede ist, fühlt sich Kiichi Miyazawa in seiner Haut nicht wohl. Auf 175 Milliarden Mark belief sich der japanische Überschuß im vergangenen Jahr. Längst ist der Unmut darüber in den westlichen Hauptstädten kein Geheimnis mehr. Die Furcht des japanischen Regierungschefs vor der Isolierung ist also durchaus ernst zu nehmen, bis vor zwei Jahren wiesen zumindest die Deutschen im Kreis der Industrienationen noch eine vergleichbare Bilanz aus. „Wenn in der G 7 vom Handelsüberschuß die Rede war, waren Deutsche und Japaner immer zu gleichen Teilen gemeint“, seufzt der Premierminister. „Aber jetzt stehen wir alleine da, und alleine sind wir hilflos.“
Selbst Helmut Kohl wird dem japanischen Regierungschef kein Mitgefühl zeigen können. 1991 und 1992 belief sich das deutsche Handelsdefizit mit Japan auf jeweils annähernd 23 Milliarden Mark. Vor der Vereinigung hätte das in Deutschland niemanden gestört. Die Wirtschaftskrise und eine angeschlagene Handelsbilanz aber haben Bonn zu neuen Prioritäten gezwungen. Widerwillig mußte Kohl seine Asienreise unter das Zeichen besserer Wirtschaftsbeziehungen setzen. Mit Japan aber kann das nur heißen: eine Aufbesserung des deutschen Handelsdefizits.
„Deutschland ist schon immer für den Freihandel eingetreten“, mahnt Gastgeber Miyazawa vor protektionistischen Anwandlungen der Deutschen. Grundsätzlich wird Helmut Kohl dem selbstverständlich nicht widersprechen. Trotzdem markiert der Kanzlerbesuch in Tokio einen Wendepunkt in den deutsch-japanischen Wirtschaftsbeziehungen: „Bisher haben sich die Deutschen nie über unsere Wirtschaftspolitik beschwert“, erinnert sich der japanische Premierminister. „Unsere Beziehungen verliefen immer reibungslos.“
Genau diese Reibungslosigkeit ist jedoch nicht mehr unbedingt gegeben. Ein Blick auf die Beschwerdeliste deutscher Unternehmer in Tokio reicht aus, um Verbitterung im deutschen Wirtschafsmilieu festzustellen. So beklagte jüngst der Japan-Geschäftsführer des deutschen Filtertütenherstellers Melitta, Detlef von der Lühe, daß das Tokioter Umweltministerium seinem Produkt einer chlorfrei gebleichten Filtertüte das in Japan gängige Markenzeichen ECO vorenthielte. Das würde solange zurückgestellt, bis eine konkurrierende japanische Firma in der Lage sei, das Produkt selbst auf den Markt zu bringen. „Wir halten es für notwendig“, heißt es in einem Brief der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHT) in Tokio an den Bundeskanzler, „immer wieder darauf hinzuweisen, daß die festgefügten Strukturen der japanischen Wirtschaft hemmend auf Aktivitäten ausländischer Unternehmen und wettbewerbsverzerrend wirken.“ Bislang hatten die deutsche Politik und die Wirtschaft auf solche Klagen verzichtet. Besonders in Brüssel, das für die Handelsabsprachen mit Japan zuständig ist, wurde die deutsche Position bisweilen als Boykott der europäischen Verhandlungsziele empfunden.
Derzeitiges Ungleichgewicht ist strukturelles Problem
Doch die Deutschen ließen sich ihre Prinzipien bislang auch in Tokio nicht ausreden: „Deutschland sollte das letzte Land sein, das gegenüber einem erfolgreichen Wettbewerber abweisende Gefühle hegt“, befand der ehemalige Außenminister Genscher bei den letzten bilateralen Gesprächen vor einem Jahr. „Nichts was die Japaner tun, wäre den Deutschen verboten.“
Heute machen deutsche Diplomaten in Tokio keinen Hehl mehr daraus, daß sie das derzeitige Ungleichgewicht in den Wirtschaftsbeziehungen als ein strukturelles Problem betrachten. Genauso sehen es die deutschen Unternehmer; sie fühlten sich „äußerst behindert“, klagt der Brief der Handelskammer, „wenn sie mit japanischen Unternehmen kontraktieren möchten, die einem Keiretsu angehören.“
Keiretsu heißt das Stichwort, das in jeder Handelsdiskussion mit Japan immer wieder auftaucht. Der Begriff meint die großen Unternehmensgruppen wie etwa Mitsubishi oder Sumitomo, deren kooperatives Geflecht sich über den gesamten japanischen Markt zieht und es Ausländern schwer macht, in Japan eigene Geschäftspartner zu finden. Seit Jahren fordern Washington und Brüssel eine größere Transparenz, was die Zusammenarbeit innerhalb der Keiretsu anbelangt.
Vermutlich wird der deutsche Bundeskanzler diese Sorgen im allgemeinen ansprechen, doch nicht bis ins Detail der Kontroversen gehen. „Wir haben als Deutsche überhaupt keinen Grund zu Minderwertigkeitskomplexen gegenüber der japanischen Wirtschaft“, macht sich Kohl indessen Mut. Die größten Einzelposten bei den deutschen Exporten nach Japan besetzen Autos und Chemikalien. Umgekehrt exportieren die Japaner Autos und Büromaschinen nach Deutschland. Dem Kanzler wäre es peinlich, einzelne Sektoren des Defizits herauszugreifen und gesondert an den Pranger zu stellen. Helmut Kohl muß in Japan alles tun, um einem Vergleich mit George Bush zu vermeiden. Der ehemalige US-Präsident scheiterte anläßlich seiner Japan-Visite vor einem Jahr bei dem Versuch, in Tokio für die Interessen der heimischen Autobranche zu werben.
In Japan soll also nicht der Eindruck entstehen, der deutsche Bundeskanzler lege sich für die Interessen einzelner Unternehmen ins Zeug. Protokollarisch gab es damit freilich schon Probleme: Im Schlepptau Helmut Kohls befindet sich auch eine große Delegation deutscher Wirtschaftsbosse, die sich auf der Reise als „Sondergäste“ ausweisen. Im japanischen Besuchsprotokoll für Staatsgäste ist jedoch für solche „Sondergäste“ kein Platz vorgesehen. Was beinahe dazu geführt hätte, daß Miyazawa die deutschen Unternehmer nicht empfangen hätte.
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