: „Ich wußte, Negerpuppe, das bin ich“
Schwarze Deutsche gibt es schon seit Jahrhunderten, doch auch heute hat sich noch niemand an den Gedanken gewöhnt, daß Deutsche nicht weiß sein könnten ■ Aus Berlin Corinna Raupach
In den kurzen schwarzen Locken und auf den Schultern der feuerroten Lederjacke glitzern getaute Schneeflocken, als Gabriela Willbold ins Café Gottlieb stürmt. „Ich habe noch nie Schirme benutzt“, erklärt sie. Erst vor kurzem hat sie herausgefunden, warum: Der Mohr im Struwwelpeter trägt einen Schirm vor sich her.
Worte hatte sie als Mädchen nie für das, was an ihr anders war als an anderen Kindern. Sie wußte nur, daß zu ihr niemand nach dem Urlaub sagte: „Du bist aber braun geworden.“ Sie cremte sich leidenschaftlich gern ein – Creme, das war ja etwas Weißes. Schwarz waren nur schlechte Sachen. Schwarz war der schwarze Mann, vor dem Kinder Angst haben sollen. „Mach dich nicht schwarz!“ sagten die Mütter den anderen Kindern, wenn sie sagen wollten, „mach dich nicht dreckig!“.
Als im Kindergarten die Erzieherin strahlte: „Schau, wir haben für dich eine Negerpuppe gekauft“, warf sie sie gegen die Wand. „Ich wußte, Negerpuppe, das war ich“, sagt die Cottbusser Ärztin und verzieht das energische, milchkaffeefarbene Gesicht. Manchmal hieß es auch, „du bist ja gar nicht richtig schwarz“, das war dann als Anerkennung gemeint.
Ihren Vater, einen englischen Ingenieur, lernte sie nie kennen. Als sie auf die Welt kam, war ihre Mutter bereits mit einem Weißen verheiratet, von dem allgemein erwartet wurde, daß er seine Frau jetzt verlassen werde. Hautfarbe war in der Familie nie ein Thema. „Aber damit war ich auch kein Thema.“ Mit neun habe sie in einer Kaufhalle zum ersten Mal einen schwarzen Menschen gesehen. „Er faßte in einen Korb mit Milchflaschen, ich war total fasziniert von dieser schwarzen Hand auf der weißen Milchflasche.“ Mit elf lernte sie andere afrodeutsche Kinder kennen. „In der DDR war ich immer die Älteste.“
Jeannette Sumalghi: „Über Schwarze in der DDR wurde nicht geredet“
Jeannette Sumalghi erinnert sich, daß ihr die Erwachsenen immer in die Haare fassen wollten, als sie klein war. „So ein schwarzes Kind fanden alle süß, aber in der Pubertät war das vorbei.“ Wenn sie das heute in reinstem Berlinerisch erzählt, kann sie darüber lachen, wie sie in der Schule gehänselt wurde, wie ungern sie sich vor dem Sport mit den anderen Mädchen umzog. „Im Slipper sieht jeder, daß ich überall braun bin.“ Damals konnte sie das nicht einmal ihrer Mutter erzählen, der sie nicht weh tun wollte. Eine Freundin suchte sie einmal zu trösten: „Du kannst doch nichts dafür, daß deine Mutter einen Schwarzen genommen hat.“ Mit ihr habe sie nie wieder geredet, sagt sie und lächelt ihrem Mann zu. Um die Heirat haben sie und Issufol, der aus Mosambik kommt, jahrelang mit den DDR- Behörden gekämpft.
Eigentlich wollte sie Kindergärtnerin oder Pädogogin werden, aber als Schwarze war das in der DDR unmöglich. Auf der Straße rief man ihr „Negerschlampe“ oder „Hau ab nach Hause!“ hinterher. „Die Solidarität war großgeschrieben für diejenigen, die weit weg waren, von weither kamen und irgendwann wieder gingen. Über die Schwarzen im Land wurde nicht geredet.“
Ika Hügel: „Kein Afrodeutscher ist stolz, Deutscher zu sein“
Schon 1508 portraitierte Albrecht Dürer einen Äthiopier, der als Angestellter in einem Augsburger Handelshaus arbeitete: ein Mann mit stolzen Zügen und einem krausen Bart. Seit dem 12. Jahrhundert wurden immer wieder Afrikaner nach Europa entführt, als „Mitbringsel“ oder Sklaven. Schwarze Deutsche gibt es vermutlich seit der Phase der deutschen Kolonien. „Wir sind Deutsche, seit Jahrhunderten, aber wir wissen, daß uns diese Staatsangehörigkeit jederzeit entzogen werden kann“, sagt Ika Hügel, Mitarbeiterin des Orlanda Frauenverlags in Berlin. „Unter Hitler hat man uns das Recht, deutsch zu sein, aberkannt.“ Afrodeutsche kamen in den KZs um, afrodeutsche Frauen wurden zwangssterilisiert.
„Nicht ein afrodeutscher Mann und nicht eine afrodeutsche Frau ist stolz, deutsch zu sein“, sagt Ika Hügel. „Meine Mutter ist deutsch, ich war nie etwas anderes. Deutsch ist meine Sprache, meine Kultur, das System der BRD ist das, was ich in allen Bereichen beherrsche. Ich weiß, was auf dem Arbeits- oder Sozialamt, was in einer deutschen Schule abläuft.“
Sich selbst schwarze Deutsche zu nennen heißt Farbe bekennen, was Ika Hügel erst mit dem Entstehen des gleichnamigen Buches gelernt hat. „Meine Generation war total isoliert, die sogenannten ,Besatzungskinder‘. So hießen nur die Schwarzen.“ Vielleicht sei die Zeit auch noch nicht reif für ein schwarzes Bewußtsein in einer weißen Gesellschaft. „Bei allem, was ich mache, ob ich weine, lache, nichts geschieht unabhängig von meiner Hautfarbe.“ Wenn sie in der Schule ein Diktat nicht gut geschrieben habe, sei ihr jegliche Intelligenz abgesprochen worden. „Das ist keine Fremdenfeindlichkeit, ich bin nicht fremd“, sagt die große, schlanke Frau nüchtern. „Aber ich bin eine gute Beobachterin geworden. Das hat mir das Leben gerettet: zu wissen, wann eine Verletzung ansteht.“
Roy Wiechert: „Ich stand immer allein“
„Ich war immer das einzige schwarze Kind weit und breit. Immer anders, immmer angestarrt, immer der kleine Exot“, sagt Roy Wiechert, dessen Mutter nach dem Krieg in Bremen eine Liaison mit einem englischen Seemann eingegangen war. „Das hieß auch, daß ich immer allein dastand.“ Seine weiße Familie konnte ihm nicht viel Rückhalt geben.
„Es war für mich schwierig, eine Identität zu finden, ich habe immer den Clown gespielt.“ Mit 16 hörte er Jimmy Hendrix, probierte Drogen und Alkohol und lebte in Bremens einziger Kommune. Mit 17 fuhr er ein Jahr zur See, statt nach Afrika ging es jedoch nur nach Rotterdam und Murmansk. Er studierte ein Jahr Gitarre, fing eine Graphikerlehre an und ging dann nach Berlin, um Design zu studieren. Ruhe habe er erst gefunden, als er seine Frau kennenlernte. „Ich war vorher auch mit weißen Frauen zusammen. Irgendwann habe ich gemerkt, daß ich eine Frau gesucht habe, die keine Deutsche ist.“ Seine Frau ist Peruanerin. „Man lernt dadurch eine andere Kultur kennen, und vor allem ist man nicht mehr allein etwas Besonderes.“
Die schwarzen deutschen Kinder, die jetzt groß werden, kennen meist andere, ältere Schwarze. „Mein Sohn Mathias kennt so viele Afros, für ihn ist Schwarz ganz normal“, sagt Gabriela Wiebold. Auch für das afrodeutsche Adoptivkind einer weißen Freundin sei sie die schwarze Bezugsperson. Wenn er auf dem Schulhof „Negerkuß“ genannt wird, kann sie anders reagieren als ihre hilflose Mutter, die nur sagen konnte, die seien alle doof. „Ich kann Alfredo jetzt sagen: „Du hast zwei Möglichkeiten. Entweder du sagst Negerkuß-Hochgenuß oder -Käsefuß, das find' ich aber nicht so gut, denn damit reagierst du nur. Oder du tust so, als hättest du nichts gehört, und dann zeigst du ihnen, wer du wirklich bist, nämlich Alfredo.“
Die zweijährige Saba, ein schwarzes Energiebündel mit sonnigem Gemüt, versteht deutsch so gut wie tegrinisch. Ihre eigenen Verlautbarungen klingen zwar mal so und mal anders, sind jedoch in beiden Sprachen noch stark interpretationsbedürftig. Sie kullert sich im rosa Jogginganzug durch eine bunte Familie. Ihr Vater ist Äthiopier, ihre Mutter weiße Deutsche, ihr zwölfjähriger Bruder Andres hat einen schwarzen Kubaner zum Vater, und ihre neunjährige Schwester Tatjana ist weiß.
Andres lernte seinen kubanischen Vater zwar auch erst vor zwei Jahren persönlich kennen, aber er hatte immer Kontakt zu schwarzen Bekannten seiner Mutter und seiner Großeltern. Wenn er Schwierigkeiten mit den Kindern im Kindergarten hatte, drohte er, sein Vater bringe ihm ein Krokodil mit, wenn er komme. Der schickte ein großes, grünes Stoffreptil. Seitdem ist Ruhe.
Françoise: „Deutsche kommen nicht damit klar, daß es schwarze Deutsche gibt“
In das Büro der Berliner Initiative Schwarze Deutsche (ISD) im ersten Stock eines Kreuzberger Altbaus dringt Reggae-Musik aus der Kneipe im Erdgeschoß herauf. Zwischen drei Schreibtischen drängen sich zahlreiche Stühle. Die Holzregale sind bis zur Decke vollgestopft mit Ordnern. Hier treffen sich Kinder-, Kultur- und Frauengruppen und werden die bundesweiten Treffen organisiert.
„Schwarz bedeutet für uns Betroffensein vom Rassismus, und das ist es, was uns in der ISD vor allem verbindet“, sagt die Schöneberger Erzieherin Françoise. Jeder von ihnen kennt die Frage: „Wo kommst du her?“ – „Aus Berlin.“ – „Nein, wirklich?“ – „Aus Berlin.“ – „Und deine Eltern?“ – „Du kriegst von außen immer gezeigt, daß sie denken, daß du nicht hierhergehörst. Deutsche kommen nicht damit klar, daß es auch schwarze Deutsche gibt.“
Patrice: „Wir sollen weißer sein als die Weißen“
„Für mich hat die ISD vor allem die Aufgabe, das Selbstbewußtsein der Afrodeutschen zu stärken, daß man sich nicht mehr versteckt und geduckt durchs Leben schleicht“, sagt Adel. Mike findet es wohltuend, Gespräche mit Leuten zu führen, denen man viele Sachen nicht erklären muß. Eigentlich seien die ganz verschiedenen Leute zu einer Gruppe gemacht worden, findet Patrice. Um wieder zu normalen Leuten werden zu können, müßten sie jetzt eine bilden.
„Wir stehen wie die Gastarbeiter unter einem ungeheuren Assimilierungsdruck, weißer zu sein als die Weißen“, sagt Patrice. Er sei sogar deutscher Unteroffizier in der NVA geworden. Trotzdem habe man ihm, wenn er auf der Straße nach dem Weg gefragt habe, in „Ausländer-Deutsch“ geantwortet: „Du gehen hier lang, und du biegen ab an Ecke...“ Zeitsoldat durfte er nicht werden. Ein Elternteil im nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet galt prinzipiell als Mißtrauensfaktor.
„Schwarze müssen selbst mit rassistischen Vorurteilen wie dem, Afrika sei vor der Eroberung durch die Weißen ein kulturloser Kontinent gewesen, aufräumen“, sagt Mike entschieden, der den Rassismus für eine der deutschen Kultur immanente Tradition hält. Als schwarze Deutsche seien sie von dem Aufflammen des Rassismus doppelt betroffen. Er schäme sich der Asyldebatten und der Anschläge in Mölln, andererseits werde bei Übergriffen nach dem Ausweis nicht gefragt.
Ika Hügel macht immer weniger Lesungen und Seminare für Weiße. „Weiße wollen von Schwarzen nicht lernen. Niemand hört genau zu, spürt nach, nimmt die andere ernst. Wir haben euch genug gegeben, ihr gebt uns nichts, sondern seid immer noch mit euch beschäftigt.“ Sie sehne sich danach, in einer Bevölkerung zu leben, wo sie sich nicht ständig rechtfertigen müsse für ihr Dasein. Ihr halbes Leben habe sie damit verbracht. „Ich möchte einfach leben, ich möchte mich über Bienenzucht unterhalten.“
Leicht wird dieses Deutschland ihr das nicht machen. Als Gabriela Willbold ihren roten Peugeot in der Ostberliner Sredzkistraße am Straßenrand eingeparkt hat, war das Einbahnstraßenschild im Schneegestöber kaum zu erkennen. Als sie zurückkommt, hängt an der Scheibe ein Zettel. „Das ist eine Einbahnstraße. Wir sind hier nicht im Urwald!“ steht darauf. Gabriela H. wirft den zerknüllten Zettel auf die Straße und versucht, gleichmütig zu bleiben. „Irgend so etwas passiert jeden Tag. Das sind die kleinen Sachen, die dir sagen, du gehörst hier nicht hin.“
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