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Zwischen den RillenWunderwelt des Crossover (Part 73)

■ Der Mann, den sie Apache Indian nannten: „Bhangra-muffin“ aus England

Ein Deutscher, ein Engländer, ein Franzose und ein Russe sitzen in der Schweiz in einem italienischen Restaurant. Sagt der türkische Ober: „Na, du alter Schwede.“ Ein alter Witz, den man seit neuestem etwa so in die Realität übersetzen könnte: Ein nach Deutschland geflohener Kurde hört in seiner halb kroatischen, halb kleinbürgerlich-deutschen Nachbarschaft die Raggamuffin-Platte eines Sohnes nach England eingewanderter Inder, „No Reservations“ von Apache Indian. Neues aus der Multikulti- Ecke also, aber diesmal ohne schalen Beigeschmack.

Während sich die jugendlichen Angehörigen ethnischer Minoritäten in Deutschland meist am internationalen Pop-, Dance-, Techno- oder HipHop-Kontext orientieren – die gerade konstruierte Szene ist also so unrealistisch gar nicht –, entstehen vornehmlich in den angloamerikanischen Großstädten zahlreiche Verbindungen traditioneller Kulturen sowohl mit Elementen der vorherrschenden Dance- und Pop-Richtungen wie auch untereinander. Ein populäres Beispiel für eine solche Verbindung ist der HipHop-Reggae-Crossover, der vor einigen Jahren aus New York auch hierher herüberschwappte.

Für die indische Bhangra-Musik, die von den Ernte-Tänzen des Pandschab abstammt, galt das bisher nur bedingt. Zwar kombinierten einige Bands in Großbritannien frühzeitig traditionelle Klänge mit westlichen Instrumenten zu einer Mischung aus Pop, Dance und Folklore, doch fand die Rezeption dieser Musik nicht den Weg aus der kulturell recht abgeschotteten indischen community heraus. Zu einem Teil war dies auch der Vertriebsstrategie der beiden marktbeherrschenden Plattenfirmen zu verdanken, die ihre Produkte vorwiegend in Video-Shops und asiatischen Supermärkten zu – im Vergleich zur westlichen Popindustrie – extrem niedrigen Preisen verkauften. Trotz durchaus nennenswerter Absatzzahlen blieben sie auf diese Weise unabhängig vom konventionellen Musikmarkt. Erst in den achtziger Jahren ergaben sich in der nachfolgenden Generation über die House- und Rave-Szene Verbindungen von Bhangra mit der westlichen Jugendkultur.

DJs waren es dann auch, die Tabla- und Sitar-Sounds erstmals mit Ragga in Verbindung brachten, eine Kombination, die zumindest insofern nahelag, als asiatische und karibische Minoritäten häufig in den gleichen Stadtvierteln der großen britischen Städte wohnen und so mit zumindest oberflächlicher Kenntnis der jeweils anderen Kultur leben.

Apache Indian ist nun der erste oder zumindest der bekannteste echte Act dieser Verbindung. Seine Debüt-Single „Move Over India“, die im Sommer 1991 für mehrere Wochen sowohl die Reggae- wie auch die Bhangra- Charts anführte (was auch den nachfolgenden Singles „Chok There“ und „Don Raja“ gelang) war in Großbritannien, wo dem „Neuen“ in der Popmusik bekanntlich immer besonders heftig nachgejagt wird (und es auch einen anderen Stellenwert hat), Anlaß für einen mittleren Medienaufruhr. Für „Bhangra-muffin“ interessierten sich plötzlich neben der Musikpresse auch „normale“ Tageszeitungen und die BBC.

Aufgewachsen ist Apache Indian in Handsworth, einem armen Birminghamer Stadtteil, der 1985 durch von Afro-Carribeans angezettelte Riots zu einiger Berühmtheit gelangte. In Interviews sagt er, er liebe Reggae seit Ewigkeiten (der erste Teil seines Namens lehnt sich an seinen Helden, den jamaikanischen Toaster „The Wild Apache“ Supercat an). Trotzdem will er seine indischen Wurzeln nicht verleugnen und vor allem Themen ansprechen, die seine mit mehreren Kulturen aufwachsende Generation interessieren, wie etwa die obskure Welt des indischen Films („Move Over India“), Verheiratungen durch die Familie („Arranged Marriage“), Aids („AIDS Warning“) oder Alkohol („Drink Problems“).

Eine Haltung, die in beiden communities gut ankommt, und weil ein neuer Crossover (die gehen ja langsam aus) immer für „das neue Ding“ gut ist, hat schließlich auch die Industrie zugegriffen: die langerwartete LP „No Reservations“ erscheint auf einem Major-Label (und folgerichtig wird auch die tolle neuste Single, „Arranged Marriage“, in MTV rauf und runter gespielt).

Auf dem Album, das auch die ersten drei Singles enthält, finden sich diverse Kollaborationen mit Stars der Reggae-Szene wie Sly Dunbar, Frankie Paul oder Maxi Priest („Fe Real“, das poppigste Stück), was dazu führt, daß es nicht gerade „aus einem Guß“ ist. Den aufwendig arrangierten Singles stehen einige eher konventionelle und weniger interessante Ragga-Stücke gegenüber. Eine wirkliche Verschmelzung von Ragga-muffin und Bhangra findet ohnehin nicht statt: „No Reservations“ ist eigentlich eine Ragga-Platte, die indische Sound- und Textelemente verwendet und das Leben zwischen zwei minoritären Einwanderertraditionen und einer offiziellen weißen Kultur thematisiert. Im Gegensatz zu den meisten Ethno- Basteleien hat sie ein wirkliches Anliegen, eine soziale Relevanz, ohne mit großen politischen Themen hausieren zu gehen, und ist damit vielleicht gerade in ihrer Unausgegorenheit gut und richtig. Michael Nauert

Apache Indian: „No Reservations“ (BMG)

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