: Wo liegt das Neue Zürich?
■ Das "Neue Züricher Tanztheater" gastierte zum Tourneeauftakt im Monsun Theater
gastierte zum Tourneeauftakt im Monsun Theater
Die Sonne geht auf und wieder unter, Jahreszeiten kommen und gehen, Menschen begegnen und trennen sich. Das Leben ist ein langer, ruhiger Fluß. Könnte es zumindest sein, würde nicht ständig irgendwo irgendjemand sein Maul aufreißen und losquatschen.
„Ich habe Sehnsucht nach Sonntag. Ich möchte mit dir spazieren gehen, dir durchs Haar streichen,“ sagt die Frau mit Blick ins Leere. Und stößt den liebenden Mann weg. Ihre Worte und die Geste wiederholen sich, werden aufgenommen in eine Choreographie. Acht Tänzer bewegen sich auf der Bühne, erst jeder für sich, dann finden sie einen gemeinsamen Rhythmus, gleiten in beiläufige Synchronizität – bis plötzlich an anderer Stelle eine Frau schreit. Es regnet einen italienischen Wortschwall und die Formation zerbricht.
The Story... Is In The Telling heißt die jüngste Produktion des Neuen Zürich Tanztheaters, die sie am Wochenende im Monsun Theater vorstellten. Das Gastspiel in Hamburg war Auftakt zu einer Tournee, die die Company zwei Monate durch Deutschland und die Schweiz führen wird. 1974 unter dem Namen Zürich Tanz-Theater gegründet, ist die Gruppe eine der am längsten zusammenarbeitenden Tanzformationen der Schweiz – allerdings geprägt vom häufigen Wechsel der künstlerischen Leitung. 1991 wurde diese von Catherine Christ übernommen, die im Herbst '92 fast das gesamte Ensemble austauschte und entsprechend den Namen änderte.
The Story... Is In The Telling heißt wörtlich übersetzt „Die Geschichte ist im Erzählen“. Zu deutsch: Nicht was, sondern wie erzählt wird, ist entscheidend. Eine Erkenntnis, die weder der Werbung, noch der Literatur, noch dem Tanztheater neu ist. Doch wer ein Plädoyer für Form vor Inhalt hält, muß eben in einem brillieren: der Form. Und genau das gelingt dem Neuen Zürich Tanztheater mit ihrer neuen Formation nicht.
Die getanzten Episoden wiederholen nicht nur sich selbst im Laufe des Stückes, sie wiederholen auch, was das Tanztheater bereits seit Jahren auf die Bühne bringt. Endlose Variationen des Komm-her- Geh-weg-Spiels der Geschlechter, mit Vorliebe verkörpert durch Sich-Anspringen und Fallenlassen. In diesem Fall dargeboten ohne Leidenschaft, ohne Überraschung und selbst ohne Souveränität. Die nicht selten unsicher wirkenden Ensembleauftritte lassen die notwendige professionelle Durchdringung leider zu oft vermissen.
Überzeugend hingegen das Konzept der Live-Musik-Einbindung in die Choreographie. Schlagzeug und Piano auf der Bühne geben Möglichkeit zum Spiel: mal untermalen sie den Tanz, mal bestimmen sie ihn, sie begleiten Gesangsstimmen oder werden kontrapunktisch zu Sprechtexten eingesetzt.
Hier findet sich, was die Choreographie vermissen läßt: eine eigene Handschrift. Denn während er auf der Bühne alle Sprachen von Italienisch über Norwegisch bis hin zu Marokkanisch hört, fragt sich der Zuschauer, wie eigentlich Schwyzer Dütsch klingt. Und wo das Neue Zürich steckt, das ihm der Name dieser Company doch irgendwie versprochen hat. Christiane Kühl
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen