: Rüffel für Regierung
■ Italiens Staatspräsident Scalfaro schmettert Amnestiedekret ab
Rom (taz) – „Man kann sich“, räsonierte gestern der staatliche italienische Rundfunk RAI, „nur an den Kopf greifen: Regierung haben wir keine, aber eine Regierungskrise ist das auch nicht.“
Es ist wohl der kürzeste Nenner, auf den sich die Lage bringen läßt: die Vierparteienkoalition des Sozialisten Giuliano Amato mit Christ- und Sozialdemokraten sowie Liberalen verliert Minister am laufenden Band – am Sonntag trat, als fünfter, der hochangesehene Umweltminister Ripa Di Meana zurück. Nahezu wöchentlich setzt es öffentliche Rüffel des Staatspräsidenten. Bei Teilwahlen rutscht die Koalition auf knappe 30 Prozent. Doch von Rücktritt der Regierung ist nicht die Rede.
Neuestes Glanzstück: am Wochenende hatte die Regierung eine Art Generalamnestie verabschiedet für alle Verstöße gegen das Parteienfinanzierungsgesetz, das Strafandrohungen bis zu vier Jahren Gefängnis vorsieht. Damit sollte illegale Geldannahme nur noch mit Geldbußen geahndet werden. Als Folge wären die gut 300 bisher gegen Parlamentarier und über 1.000 gegen andere Politiker sowie Unternehmer und Manager angelaufenen Verfahren strafrechtlich erledigt gewesen. Da konnte selbst Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro nicht mithalten, obwohl er noch immer versucht, Amato vor dem Sturz zu bewahren. Er werde die Amnestie nicht gegenzeichnen, ließ er verlauten. Offizielle Begründung: die Maßnahme solle auf dem Dekretweg erlassen werden – was sofortiges Inkrafttreten für drei Monate auch ohne Zustimmung des Parlaments bedeutet hätte. Doch am 19. April findet in Italien eine Volksabstimmung just über das Parteienfinanzierungsgesetz statt, und so würde die sofortige Modifikation dieser Norm den Sinn des Referendums zerstören.
Damit konnte es sich Scalfaro sparen, zum Inhalt der Selbstentschuldung der Politiker Stellung zu nehmen und so erneut die Regierung öffentlich zu diskreditieren: Zweifel an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieses Blitzverfahrens hatte nicht nur der darob zurückgetretene Minister Ripa di Meana, sondern auch der Vorsitzende der christdemokratischen Partei, Martinazzoli, geäußert. Zu Recht fürchtet Scalfaro auch einen wahren Volksaufstand, sollten sich die Politiker selbst amnestieren.
Unterschrieben hat Scalfaro dagegen ein anderes explosives Dekret: Damit werden alle wegen Verdachts von Schmiergeldzahlungen oder des Verdachts mafiöser Beteiligung eingefrorenen öffentlichen Aufträge ohne weitere Überprüfung wieder aktiviert – angeblich um ein Beschäftigungsprogramm von umgerechnet etwa 3,5 Milliarden Mark nicht zu gefährden. Die Blockade suspekt vergebener öffentlicher Aufträge aber war vor einem halben Jahr eine der wichtigsten Maßnahmen Amatos gewesen, um seiner Absicht einer sauberen Administration Glaubwürdigkeit zu verleihen. Werner Raith
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen