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Aus dem Tourismuskatalog

Der Senat bat sechs prominente Grafik-Designer, der Stadt ein neues „Erscheinungsbild“ zu geben  ■ Von Herbert W. Kapitzki

Herbert W. Kapitzki war in den sechziger Jahren Dozent an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, seit 1970 Professor für Visuelle Kommunikation an der HdK (zunächst HfbK) in Berlin. Seit 1993 ist er, inzwischen erimitiert, Präsident des Verbandes Deutscher Grafik- Designer.

Kapitzki war einer von fünf „Fachjuroren“ im Wettbewerb „Corporate Identity für Berlin: Das Berlin-Erscheinungsbild“. Einer von fünf weiteren, fachlich unkundigen, „Sachjuroren“ war der Regierende Bürgermeister Diepgen, der tatsächlich auch einmal zum Kaffee vorbeikam. Er hatte den Wettbewerb ausgeschrieben, der technisch anspruchsvoll daherkam: Von Briefen über Leitsysteme bis zu Messen und Videos sollte das grafische System verwendbar sein. Das Grafik-Design der Olympiawerbung, meint Juror Kapitzki, war schon kein gutes Zeichen für das Selbstverständnis der Stadt. Im Wettbewerb um das „Berlin-Design“ schlug dann das Interesse des Auftraggebers, sich falsch zu schmücken, endgültig durch. uez

Der Senat von Berlin beschäftigt sich wieder einmal mit Bildern und Zeichen, die das visuelle Erscheinungsbild der Stadt bereichern sollen. Der Anschein des Anschaulichen soll sich nicht in der Silhouette der Stadt widerspiegeln – wenn das überhaupt bei solch einer Stadt möglich ist – sondern zuerst einmal in einem Stadtzeichen, das als Identifikationsmerkmal, als Orientierungshilfe, auch als Verkaufsmittel für verschiedene Angebote der Administration des neuen Berlin dienen könnte.

Es geht aber bei einem Stadtzeichen nicht nur um den schönen Briefbogen für den Regierenden Bürgermeister. Ein solches Zeichen hat sehr viel mehr Aufgaben zu erfüllen. Seine eigentliche Bedeutung erhält es durch Variabilität und Vielfältigkeit der Anordnungsmöglichkeiten für weitere gestalterische Maßnahmen, die das Erscheinungsbild prägen. Leider sind die Schwierigkeiten dieser Aufgabe und die Notwendigkeit ihrer Bewältigung bei den Auftraggebern wie in der Öffentlichkeit nicht genügend bekannt. Aussagen, die eine solche Gestaltungsmaßnahme als ganzheitliche und auch konzeptionelle Aufgabe erscheinen lassen, werden nicht beachtet. Es geht nämlich nicht um die kreative oder artistische Leistung, einen neuen schönen Schnörkel zu kreieren.

Angesichts dieser Unsicherheit ist es nicht verwunderlich, wenn ein Wettbewerb zur Erlangung eines „Berlindesigns“ kein anwendbares Ergebnis hervorbringt. Unzulänglichkeiten sind schon in der Beschreibung des Bedarfs zu finden, es fehlt auch an Kenntnissen über den sachgerechten Stil eines solchen Zeichens. Man orientiert sich statt dessen an einem zweifelhaften Zeitgeist, der alles zuläßt.

Die vielen Zeichen und Bilder, die wir als Folge eines permanenten Kommunikationsangebots konsumieren müssen, das die Produktion von visueller Information immer größer macht, beeinflussen uns eher in unserer Wahrnehmungsbereitschaft, als daß sie uns zu mehr Orientierung verhelfen. Dennoch müssen sie mit Sachverstand gestaltet und mit Bedacht verwendet werden. Sie sollten als sinnstiftende Zeichen in einer visuellen Zeichensprache, als Verständigungsmittel und Orientierungshilfe dienen, als visuelle Umsetzung von Begriffen und Sachverhalten. Es geht um das Sehen und das Gesehenwerden.

Es läßt sich historisch nachweisen, daß die Zeichengebung für eine Stadt schon immer aus hoheitsrechtlichen Anlässen erfolgte. Man gebrauchte Zeichen auch als Darstellung von Macht und Bedeutung des Bezeichneten.

Heute ist eine solche Zeichengebung eher eine Art Herkunftsinformation, die im Sinne eines Marketingemblems Verwendung findet. Waren es die Urväterzeiten, die Bären, Löwen, Adler, die als Wappentiere Bedeutung bekamen, werden heute immer noch Embleme mit heraldischer Herkunft verwendet, die aber nicht mehr die notwendige Aussagekraft haben, oder durch Konfigurationen, die nicht die Bedeutungsinhalte einer Stadt widerspiegeln, entfremdet wirken. Die Tradition, in der eine Stadt mit ihrem geschichtlichen Hintergrund lebt, kann durch die Verwendung von heraldischen Zeichen verdeutlicht werden, aber dann muß das Zeichen verständlich sein und der modernen Zeichen- und Bildersprache Rechnung tragen.

Es müssen also Zeichen gefunden werden, die als Symbole für eine Auszeichnung bestimmt werden und vielfältige Funktionen übernehmen können. Dabei ist von besonderer Wichtigkeit, daß das für eine Stadt eingeführte Zeichen kein illustratives Gebilde ist, kein Zeichen, das nur von Gefühlswerten lebt, die morgen abgenutzt oder überholt sind. Aber das Zeichen an sich darf auch nicht wie ein „Knopf im Ohr“ alleine für den Auszeichnungsbedarf herhalten müssen, es kommt auf die Anordnung aller Elemente an, auf die Gesamthaltung, auf Ausdrucksformen, Darstellungsweisen.

Die Besonderheit der Erscheinungsweise einer Stadt ist eine politische Aufgabe. Die Verhältnisse in einer Metropole beeinflussen die Bürger, die als Meinungsträger in einem politischen Kontext existieren und Vorstellungen und Bedürfnisse haben, die als Werteanhäufung für eine Stadtverwaltung von Bedeutung sein müssen. Die Meinung der Bürger über ihre Stadt bildet sich nicht nur durch die Setzung eines visuellen Zeichens. Auch die Art und Weise, wie die kulturellen und sozialen Räume behandelt werden, gehört zum Erscheinungsbild einer Stadt. Die gebaute Umwelt manifestiert die gesellschaftliche, ökonomische und kulturelle Befindlichkeit. Die Verflechtung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft läßt sich an den Einrichtungen des täglichen Lebens, aber auch an den Menschen erfahren. Das muß eine Konzeption berücksichtigen, die die Stadt als etwas Auszeichnungswürdiges darstellen will.

Der Zuwachs an Bevölkerungszahlen, der zur Konzentration von Wohnstätten und damit zur Ghettoisierung in den Wohngebieten führt, das Wachsen der Bürozentren, das die durchmischten Wohn- und Gewerbegebiete zur Monokultur des Dienstleistungsgewerbes hin verändert, haben den Menschen von den Charakteristiken eines städtischen Lebens entfremdet. Das Leben in der Stadt wird durch vielfältige Belastungen und Gefahren überschattet. So wird die Stadt zum Symbol für die Gefährdung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen.

In einer Stadt wie Berlin wird sich entscheiden, ob das Zusammenleben der Bevölkerung, die in wenigen Jahren um ein Mehrfaches anwachsen wird, geordnet werden kann, ob die Erhaltung der Natur und das Streben des Menschen nach Wohlfahrt und Würde noch zusammengeführt werden können. Ohne eine neue Stadtethik, die durch entschiedenes Handeln und konsequente Politik eingeleitet werden muß, wird es nicht gehen. Ein neues städtisches Denken muß sich auch in der Gestaltung der städtischen Umwelt widerspiegeln. Diese kann nicht mit Hilfe einer additiven Zeichengebung abgehandelt werden. Eine Stadtästhetik benötigt mehr und andere Planungsprämissen und Gestaltungsmaßnahmen, um zu einer integrativen Stadtkultur zu kommen.

Wenn nun der Senat sich mit der Erlangung eines neuen visuellen Erscheinungsbildes beschäftigt, ist das vom Ansatz her sehr mutig, aber, wie bei anderen Problemen, die den Neubau der „Hauptstadt Berlin“ betreffen, nicht sorgfältig genug vorbereitet. Es ist noch gar nicht lange her, daß der Senat beim Wunsch Berlins, wieder Olympiastadt zu werden, eine wenig glückliche Hand mit der Gestaltung an sich und der Auswahl der Gestaltungsergebnisse bewies.

Solche und andere Entscheidungen belegen, daß wenig von der geforderten Sensibilität vorhanden ist und auch ebensowenig die Fähigkeit, Gestaltung im Zusammenhang mit weitergehenden Notwendigkeiten und Anforderungen zu sehen. Immer noch wird hier und da gekungelt, die Auswahl der Berater erfolgt nach Willfährigkeit, Familienzugehörigkeit, parteilichem Proporz oder was sonst noch heute an Privilegien anrechenbar ist, Sachbestand gilt lediglich als Zusatznutzen.

Auch an dem Wettbewerb „Berlindesign“ ist vieles unbefriedigend. Sechs international bekannte Designer werden eingeladen, ein corporate identity für Berlin: das Berlin-Erscheinungsbild zu liefern. Hier beginnt schon der Konflikt durch selbstgezimmerte Widersprüchlichkeit und Unvollständigkeit. Wenn ein CI für eine Stadt ernstgenommen werden und den realen Bedürfnissen Rechnung tragen soll, muß etwas über die grundsätzliche Befindlichkeit dieser Stadt und eine Stadtpolitik als Äquivalent für eine institutionelle Philosophie gesagt werden. Wenn von den Bewerbern eine Umsetzung der Bedeutungsinhalte dieser Politik erwartet wird, sollte ihnen zumindest eine Regierungserklärung dazu bekannt sein.

Eine solche Information gehörte nicht zu den Ausschreibungsunterlagen. Es gibt noch andere Dürftigkeiten, die auf Unsicherheit der Ausschreiber schließen lassen.

Zum Beispiel wird die Aufgabenbeschreibung mit deutlich werblichem Anspruch definiert: „Berlin ist eine Stadt im Werden, ist die Bundeshauptstadt aller Deutschen, ist Werk-Stadt, ist Forum des konstruktiven Dialogs, ist geistiges Zentrum, ist idealer Wirtschaftsort, ist Metropole einer starken Region, ist Urbanität mit Lebensqualität, ist Erlebnisraum für Geschichte, ist kulturelles Zentrum, ist Sportstadt, ist touristische Attraktion, ist europäische Metropole, ist eine Stadt mit Zukunft.“ Es soll also ein Zeichen gefunden werden, in das dies alles eingepackt werden kann. Das klingt wie ein Angebot aus einem Tourismuskatalog, von den Menschen und ihren Lebensweisen, von den Stadtbezirken, von der Inbesitznahme eines Lebensraumes spricht niemand.

Die Kriterien für die Auswahl der eingereichten Kreationen sind somit gegeben. Wahrscheinlich deshalb haben sich die Designer bei ihren Entwürfen nicht einmal an diese Anforderungen gehalten. Die Jury hatte es angesichts der Flüchtigkeiten nicht leicht, etwas herauszufiltern, was für den Gebrauch geeignet sein könnte. Wie sie auch ihre eigenen institutionellen Probleme bewältigen mußte. Schon die Wahl des Vorsitzenden hat zu Unmut geführt, weil unbedingt ein Senator als Sachpreisrichter den Vorsitz führen wollte, obwohl das nach international festgeschriebenen Grundsätzen bei Wettbewerben nicht möglich ist. Dies war dem Moderator wohl nicht bekannt. Der ständige Wechsel der Personen, die als Sachpreisrichter von seiten des Senats tätig wurden, ließ erkennen, daß den politisch Verantwortlichen die Tragweite des Wettbewerbs nicht bewußt war. Die dadurch entstehende Unruhe führte zu Flüchtigkeiten.

Mit viel Mühe und nach langen Diskussionen konnten ein zweiter und zwei dritte Preise vergeben werden. Das „Lindenblatt von Berlin“ von Jean Widmer hat die Mehrheit der Juroren wohl durch seine Ungewöhnlichkeit und professionelle Ausarbeitung beeindruckt.

Der Entwerfer beschreibt seine Idee wie folgt: „Das Symbol markiert eine Neuentwicklung. In seiner emotionellen Ausdrucksweise spricht das ,Berliner Blatt‘ für Sympathie und Weltfreundschaft.“ Die Gestaltungsprämissen, die er aufstellt, werden poetisch begründet, sind aber in der vorgestellten Form als Identifizierungsmittel für diese Stadt nicht ausreichend. Die beiden anderen Plazierten gaben umfassende Bearbeitungen der geforderten Anwendungsbereiche ab und waren damit die einzigen, die sich an die Ausschreibungsbedingungen gehalten hatten.

Meta Design, Berlin, schüttete ein Füllhorn an Möglichkeiten aus, elektronische Bildherstellung und -verarbeitung machen es leicht. Dennoch konnte das, was Zeichenqualität beinhaltet, nicht gefunden werden. Angesichts der Kompliziertheit dieser Entwürfe könnte die Weiterbearbeitung nicht an ein anderes Gestaltungsinstitut vergeben werden. Das ist absatzpolitisch für Meta Design zwar einträglich, für den Auftraggeber aber schwer handhabbar. Anders beim Gestalter Eberhard Stauß aus München. In geradezu asketischer Weise entwickelt er ein Gestaltungskonzept, das sich mit Bezeichnungsvarianten als Identifikationsmerkmalen darstellt, aber auch mit einem unaufdringlichen und doch sehr einprägsamen Anordnungsschema weitere Elemente bereitstellt, die das Erscheinungsbild einer Stadt auszeichnen können. Für viele Juroren war die umfassende Darstellung fachtechnisch zwar eine hervorragende Leistung, die Anmutung des Zeichens, die Zeichenqualität jedoch nicht kommunikativ genug, was immer das heißen soll.

Die beiden international herausragenden Designer Ivan Chermayeff aus New York und Alan G. Fletcher von Pentagram Design, London, hatten für ihre Ausarbeitungen nicht die kreativsten Tage erwischt. Der eine glaubte, mit einem stilisierten „B“ das Flair von Berlin einzufangen, ohne zu bedenken, daß dieses Zeichen so abgenutzt ist wie eine ausgepreßte Zitrone.

Der andere stellte einen typographischen Trick mit dem Wort „Berlin“ vor. Welch eine Leichtfertigkeit, zu meinen, wenn im Wort Berlin das „i“ gegen eine 1 vertauscht wird, begreife jedermann, daß diese Stadt als die Nummer 1 anzusehen sei.

Die minimalste Entwurfsarbeit haben Mendell & Oberer, München, abgeliefert. Mit entwaffnender Einfachheit, die bis an die Nichterfüllung der Ausschreibungsbedingungen heranreicht, geben sie dem Bären eine andere Bewegungsrichtung auf einem Zeichenfeld, das wiederum ein ausgefülltes „B“ darstellt. In der Erläuterung wird gesagt, daß der Bär im heutigen Stadtwappen rückwärts, sozusagen in die Vergangenheit gehe, dies müsse man ändern. Mit den Grundsätzen der Heraldik hat sich Mendell anscheinend nicht beschäftigt, sonst wüßte er, daß diese Anordnung eine heraldische Gesetzmäßigkeit ist.

Es ist überhaupt bedauerlich, daß sich niemand der Modernisierung der heraldischen „gemeinen Figuren“ zuwenden wollte. Die Akzeptanz eines solchen Zeichens wäre in Berlin sicher gegeben.

Es sollte dem Senat daran gelegen sein, daß einerseits eine brauchbare und länger gültige Konzeption für das Stadtdesign gefunden wird, andererseits der lobenswerte Ansatz, zu einer Konzeption zu kommen, keine vergebene Mühe bleibt, schon gar nicht zur Verschwendung von Steuermitteln führt. Der Pressesprecher hat angekündigt, daß eine Weiterbearbeitung ins Auge gefaßt wird. Das wäre eine Gelegenheit, die vielen jungen und leistungsfähigen Designerteams, die es in Berlin gibt, auch einmal zu aktivieren. Dazu wären aber einheitliche Vorstellungen und fundierte Kenntnisse über die Funktionsanordnung eines Berlindesigns nötig, die nicht nur als schmückendes Beiwerk existieren soll.

Sämtliche Arbeiten des Wettbewerbs zeigt das Internationale Design Zentrum (IDZ) am Kurfürstendamm 66, bis zum 14.3. Öffnungszeiten: 10-18 Uhr.

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