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„Mister, you're walking over stolen land!"

■ Damals fast ein Grund für den Bürgerkrieg, heute wieder aktuell: Die Bremerhavener Blink-Affäre

Nach fast vierzig Jahren wird in Bremerhaven eine dramatische Affäre um beschlagnamtes Land für Wohnsiedlungen der US Army wieder aktuell. Die betagten Eigentümer fordern nach dem Grundgesetz des Einigungsvertrags „ Rückgabe geht vor Entschädigung „ ihre Grundstücke zurück.

Der Bremerhavener Gastwirt Jürgen Howind ist ein harter Kerl von der Küste. Aber wenn ihm die Bilder der Ereignisse von vor knapp 40 Jahren in Erinnerung kommen, dann wird seine Stimme weich: „Ich könnte heulen“. Der stämmige Polizistensohn erlebte als Elfjähriger am 4. August 1954 mit, wie sich seine Mutter mit einer Mistgabel gegen Kollegen seines Vaters zur Wehr setzte, die das Haus und Grundstück mit vorgehaltener Waffe räumen wollten.

Dort sollte eine Wohnsiedlung für die amerikanischen Besetzer entstehen. Nach dem Kommando „Schützkette Marsch" war ein Polizeitrupp mit gezogener Pistole auf die resolute Frau, Mutter von fünf kleinen Kindern, losgegangen. Als daraufhin die Lage eskalierte, brach die Ordnungsmacht die Eroberung des Howindschen Gärtchens ab.

Doch zähneknirschend willigte die Familie schließlich unter massivem Druck ein, den „ordnungsgemäß beschlagnahmten Besitz“ an das Bremer Besatzungskostenamt zu verkaufen:“ Die Revolver waren das stärkere Argument. Wenn es um die Existenz einer großen Familie geht, kann man nicht den Rebell spielen“, erinnert sich die Mutter heute. Vater Howind trug nie wieder eine Polizeiuniform . Noch drei Jahre später warf ihm der damalige Oberbürgermeister der Stadt vor, die Familie habe „durch ihre Unbeherrschtheit und das verletzende Auftreten die verständnisvolle und kameradschaftliche Zusammenarbeit mit ihren Berufskollegen empfindlich gestört“. Die nach dem Bremerhaverner Stadtteil benannte „Blinklicht Affäre" macht damals weltweit Schlagzeilen.

„Besatzungsrecht bricht Bundesrecht" kündigte der STERN auf dem Titel seiner Ausgabe vom 4. Juli 1954 die Reportage über die „gesetzwidrige Beschlagnahme" an. 250 Privatgrundstücke wurden für die Amerikaner requiriert. 114 Familien verloren Grund und Boden. Ohne Voranmeldung war ihnen am 15. Mai der Räumungsbefehl ins Haus geschickt worden.

Dramatische Szenen folgten. Schnell sollten die alten, parkähnlichen Gärten samt erntefähigem Gemüse und den voll Früchten hängenden Obstbäumen - in der Nachkriegszeit ein kostbarer Schatz - plattgewalzt, die Wohnhäuser geräumt werden. Der Bremer Senat und der sozialdemokratische Magistrat Bremerhavens ließen mit massivem Polizeieinsatz den Widerstand der Bewohner brechen. Es gab monatelang Unruhen, Verletzte und zahlreiche Festnahmen.

Die Bremer Generalstaatsanwaltschaft wies eine Anzeige gegen die Polizeibeamten zurück. „Die deutschen Behörden haben nur als verlängerter Arm der Besatzungsmacht gehandelt und konnten ohne schuldhaften Irrtum annehmen, an die erteilten Weisungen gebunden zu sein. Dabei war ihr die Prüfung versagt, ob die Amtshandlung im Einzelfällen berechtigt war“.

Der Deutsche Bundestag stimmte am 15. Juli 1954 einem Antrag der Deutschen Partei zu, in dem die Regierung Adenauer aufgefordert wurde, „unverzüglich in Verhandlungen mit den zuständigen amerikanischen Stellen einzutreten, um die... vereinbarte Beschlagnahme von Häusern und Grundstücken an der jetzt vorgesehenen Stelle abzuwenden“. Obwohl eine alternative Fläche zur Verfügung stand, blieben die Bemühungen ergebnislos.

Die Werftarbeiter Bremerhavens formierten sich zu Kampftruppen: Sie streikten und starteten am 5. August 1954 einen „Marsch zum Blink“. Bei ge

Gerda Müller will ihr Land zurückFoto: taz

waltsamen Ausschreitungen wurde die Polizei vertrieben, Gefangene befreit. Zeitungen in den USA sahen schon „kommunistische Pöbelhaufen" für heruntergekommene „Slums“ kämpfen. Unzählige Petitionen und Klagen der Betroffenen bis zum Bundesverfassungsgericht konnte die Planungen der Blink- Siedlung nicht aufhalten.

Am 13. Oktober drang - angeblich auf Befehl der US-Behörde - ein Räumtrupp der Bonner Bauleitung im Schutz starker Polizeieinheiten in die Anwesen der Widerständler ein. Die Betroffenen warfen sich vor die Planierraupen und konnten die Maßnahmen noch einmal stoppen.

Tage später walzten die Kettenfahrzeuge jedoch durch die Gärten. Auch durch die von drei Nachbarn, die als jüdische Familien und aus religiösen Gründen in den KZs der Nationalsozialisten gelitten hatten. Einer von ihnen war der Architekt Wettin Müller. Sechs Jahre seines Lebens hatte er in den Konzentrationslagern Wewelsburg und Sachsenhausen verbracht. Sechs weitere Jahre, so sagt der heute 80jährige, opferte er dem Kampf gegen die Beschlagnahme seines Grundstücks. Seine Frau Gerda (70) zeigt immer noch eine kämpferische Becker-Faust, wenn sie an das erlittene Unrecht erinnert wird. Im Verlauf einer Rangelei um den häuslichen Garten verprügelte sie damals die Polizisten mit einer Reitpeitsche, wurde gefesselt, von ihrem Acker geschleift, verhaftet und später von Werftarbeitern befreit. Kurz darauf schrieb sie an eine Freundin in New York:

„Vor zehn Jahren haben die Amerikaner unsere Stadt in Schutt und Asche gelegt, dabei 100 Menschen getötet, aber die Kasernen haben sie stehenlassen. Es ist unbegreiflich, das Ganze ...“

Die Familie wurde schließlich enteignet und erhielt eine bescheidene Entschädigung zugesprochen. Die hat Wettin Müller - sein Vater starb an den Folgen der Aufregung um die Beschlagnahme - nicht angenommen. „Ich will mein Land zurück“, forderte er jetzt. Denn die Amerikaner ziehen sich von ihrem Versorgungsstützpunkt Bremerhaven zurück.

Der Bremerhavener Magistrat will die Liegenschaft erwerben. Noch hat die US-Army, mit einer frostigen „Farewell-Party“ schon offiziell verabschiedet, die Häuser nicht freigegeben. Viele der knapp 600 großen Wohnungen stehen schon leer und werden dringend benötigt. Wenn die Stadt die 20 Hektar große „Blink“-Siedlung kaufen sollte, müßte sie tief in die Tasche greifen: Die Rede ist von „mehreren hundert Millionen Mark“.

„Die haben mit Waffengewalt meine Familie vertrieben und wollen jetzt mit meinem Erbe Geschäfte machen“, schimft Jürgen Howind. Er verlangt die Rückgabe des elterlichen Grund und Bodens. Wettin Müller und seine Frau Gerda teilen dem Bundesvermögensamt, bald Verwalter des Areals, ebenfalls mit, daß sie die Herausgabe des „zugunsten einer fremden Macht enteigneten Vermögensteils mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln betreiben“ wollen.

Die Forderung der „Bink“-Geschädigten ist einfach: Ähnlich wie in der ehemaligen DDR soll nach dem Grundgesetz aus dem Einigungsvertrag „Rückgabe geht vor Entschädigung“ vorgegangen werden: Walter Schmel, Anwalt der Familie Müller, prüft derzeit die Möglichkeiten einer Klage.“ Es handelt sich hier um eine juristische Delikatesse, die gründlich und mit großem Aufwand durchleuchtet werden muß. Entscheidend ist, ob das damalige Vorgehen rechtmäßig war, ob eine Verjährung eingetreten ist und ob sich Parallelen zum Einigungsvertrag ergeben.“

In den komplizierten Sachverhalt arbeiten sich jetzt auch Juristen der Uni Bremen ein. Die Bremer Filiale des Bundesvermögensamtes signalisierte bereits eine „konziliante Lösung“. Mit der Historie des Falles sei man nicht vertraut, so die Auskunft, man gehe indes davon aus, daß die Lage „rechtlich geklärt“ sei.

Der Bremerhavener SPD- Magistrat äußert über die „Blink“-Affäre, die jetzt aufgearbeitet werden soll, heute sein Bedauern. Dabei wird das damalige Verhalten der Stadt aus der heutigen Perspektive durchasu kritisch gesehen: Die Stadtväter hätten, so Oberbürgermeister Karl Willms, damals „eine unrühmliche Rolle gespielt“.

Daß auch die Amerikaner ihre „unrühmliche Rolle“ nicht vergaßen, dafür sorgte Gerda Müller. Sobald sie einen amerikanischen GI auf ihrem Grund und Boden antrifft, ruft sie ihm zu: “Mister, you're walking over stolen Land.“

Lutz G. Wetzel

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