■ Italiens „Amigos“ erschüttert über Gleichbehandlung: Sind doch so saubere Hände...
Rom (taz) — So hatten sich Italiens Politiker die Sache natürlich ganz und gar nicht vorgestellt. Jahrelang hatten sie, wenn hochgefährdete palermitanische Ermittler nach besserem Schutz riefen, oder schon lange einsitzende Aussteiger aus Terrorgruppen um Gnade nachfragten, streng den Kopf geschüttelt und gesagt: keine Extrawürste für niemanden, gleiches Recht für alle, keinen Sonderschutz und keine Gnade. Nach Jahren der Notstandsverfassungen wolle man jetzt wieder zur „Normalität“ zurück, sagten die Minister und die Parteioberen — auch die oppositionellen — selbst dann, wenn mal ein mitfühlender Staatspräsident wie Pertini oder Cossiga hie und da eine Ausnahme machen wollten.
Und nun das: plötzlich sieht Italiens Politikerkaste das Wort „Normalisierung“ gegen sich selbst in Stellung gebracht. „Normalisierung“ nennen z.B. die Untersuchungsrichter in Mailand ihr Vorgehen gegen Parteisekretäre und Minister, wenn sie diesen Schmiergeldannahme nicht bloß als Korruption ankreiden, sondern auch mit eher vulgären Deliktsnamen bezeichnen: „Wer jemandem erklärt, er bekomme keinen öffentlichen Auftrag mehr, wenn er nicht der Partei oder ihm selbst einen Anteil an der Auftragssumme oder regelmäßige Zahlungen überweise, begeht eine klassische Erpressung“, erklärte der Leiter der Antischmiergeldkommission „Mani pulite“ (Saubere Hände), Di Pietro. Und wer das Geld auch noch wäscht und somit dessen Herkunft verschleiert, dem sei das „ebenso klassische Delikt der Hehlerei vorzuwerfen“.
Unversehens blicken die Politiker damit in Abgründe – in ihre eigenen. Die unverblümte Bezeichnung ihrer jahrelang geübten (mit mehr als umgerechnet 20 Milliarden DM Schmiergeld erfolgreichen) Eintreibungspraxis mit so banalen strafrechtlichen Kategorien stellt die Herrscherelite genau an die Stelle, wo sie ihrem Verhalten nach hingehört – in die Reihen ganz einfacher, gewöhnlicher, eben „normaler“ Verbrecher (so L'Indipendente).
Doch die dicksten Eier kamen erst noch: einer der Angeklagten, bis vor kurzem Pressesprecher des bis Ende 1992 amtierenden christdemokratischen Parteichefs und mehrmaligen Ministerpräsidenten Forlani, geriet wegen Falschaussage in Sachen „Mani pulite“ vor Gericht – und wurde in Handschellen aus dem Knast zum Prozeß gekarrt. Der Aufschrei der Politiker war gellend: „Gestapo- Methoden“, konstatierte Forlani, der liberale Parlamentsvizepräsident Alfredo Biondi sah einen „eindeutigen Machtmißbrauch der Staatsanwaltschaft“, und auch Oppositionschef Achille Occhetto von der KP-Nachfolgepartei PDS (die allerdings derzeit ebenfalls in größere Schmiergeld-Verdächte geraten ist) war „tief entsetzt: wo bleibt denn das Grundrecht der Unschuldsvermutung?“
Doch wieder war den munteren Staatsanwälten nichts anzuhaben: Handschellen, so zitierten sie die von der Regierung – nicht von ihnen – erlassenen Bestimmungen, seien anzulegen, wenn im Transport auch gefährliche, fluchtverdächtige oder gewalttätige Verbrecher sitzen. Der Politiker aber wurde im ganz „normalen“ Schub vom Gefängnis ins Gericht gebracht. Einzig relevanter Vorhalt: im Justizpalast angekommen, hätten die Polizisten die Handschellen abnehmen können, aber auch das ist Auslegungssache; immerhin wurden die zuständigen Carabinieri dafür gerügt.
Das Land nahm die große Fürsorge der Politiker für noch nicht verurteilte Angeklagte gerührt zur Kenntnis. Allerdings, so ein Bürger in der Fernsehsendung „Il Rosso e il nero“, „fragt man sich, warum denen das nicht schon vor zehn Jahren aufgefallen ist, als die Sache mit dem exzessiven Gebrauch der Handschellen begann“ – da waren z.B. BürgerInnen zu Hunderten gefesselt in Gerichtssäle gebracht worden, deren einziges Vergehen darin bestand, daß sie einmal einen alten Bekannten bei sich hatten nächtigen lassen, von dem sich später herausstellte, daß er ein Terrorist war.
Regierungschef war zu dieser Zeit Arnaldo Forlani, eben jener, dem nun bereits schlichte Handschellen als Gestapo-Methoden erscheinen. Werner Raith
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