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In der Zone

■ „Pynchon in Berlin“ – Literatur-Ausstellung in den Kunst-Werken

Im letzten Kriegsjahr, als die deutschen V-2-Raketen in London einschlagen, markiert der amerikanische Lieutenant Tyrone Slothrop seine erotischen Erlebnisse mit bunten Sternchen auf einem Stadtplan. Das wird ihm zum Verhängnis, denn die Karte erweist sich zugleich als Verzeichnis der Raketentreffer. Aber nicht, daß hier einer seinen morbiden Lüsten nachgeht, sondern die Tatsache, daß die Raketen seinen „Ständern“ folgen, läßt Slothrop in die Fänge der Firma, einer „SIE“ genannten Macht geraten. Mit dieser irren Basis-Fabel wurde Thomas Pynchons Roman „Gravity's Rainbow“, deutsch 1981 als „Die Enden der Parabel“ erschienen, ein Monument der Postmoderne: Der Held ist eine Charge inmitten von filmischen, Soap- und Slapstick-Elementen, vor allem aber sind die Genres des literarischen, historischen und vielleicht sogar mythologisch-heiligen Textes miteinander vermischt. Die fiktional hoch aufgeladene, gewissermaßen hysterische Handlung basiert auf historischen Daten, ausgefeilten wissenschaftlichen Kenntnissen (Entwicklung hitzeverträglicher Kunststoffe, Raketensteuerung, Informationstechnologie) und spielt an sogenannten „Originalschauplätzen“, wie dem Raketentestgelände in Peenemünde, den Produktionsstollen bei Nordhausen oder im zerbombten Berlin.

Zudem etablierte Pynchon sich als die Personifikation des postmodernen Autors, die Verkörperung seines in der Theorie behaupteten Verschwindens. Nur weniges ist bekannt: das Geburtsdatum (8.5. 1937), seine Studienfächer (Engineering, Physik, Literatur), Dienst bei der Marine (zwei Jahre), Autor bei Boeing (Bereich Raketentechnik). Ansonsten ist die Tarnung vor der Öffentlichkeit so perfekt, daß an diesem Ort (taz vom 21.7. 84) einer „Standard Text A.G.“ die kollektive Autorschaft der Pynchon-Romane zugedacht wurde. Ein neueres Gerücht besagt freilich, daß Pynchon selbst sich Ende der sechziger Jahre in Berlin aufgehalten und von hier aus in Nordhausen und Peenemünde recherchiert hat. Das Ergebnis, wie es Simao Ferreira, Stefan Heidenreich und Thomas Wulffen als Kurator jetzt in den Kunst-Werken Berlin präsentieren, macht den Weg der Figur „Rocketman“ plastisch. Halb Spielball, halb der eigenen unwillkürlichen Logik folgend, gerät Slothrop in den Sog der inneren Logik der Rakete, bis er sich in der „Zone“ auflöst. Sie ist freilich mehr als das Deutschland der ersten Nachkriegsmonate. Im Sinne eines aus dem Ruder geratenen Drehbuchs halten sich die Auflösung jeglicher Kausalität und die paranoide Verknüpfung ihrer Reste die Waage.

Literatur-Ausstellungen sind nicht dazu da, Romane zu interpretieren, aber sie präsentieren Objekte aus ihrem Umfeld als Devotionalien. Das geschieht reichlich: Es gibt Landkarten (Fernfahrerkarte von 1937), auf denen Slothrops Weg durch die Zone aufgezeichnet ist; auf einer Berlin- Karte bilden seine Aufenthalte die Form einer Parabel. Da werden Stiefel präsentiert, von denen es heißt, sie gehörten dem Russen Tschitscherin, die ihm Geli im Harz geschenkt habe, sind ebenso ausgestellt wie ein Foto der Villa des amerikanischen Präsidenten während der Potsdam-Konferenz. Hier in der Kaiserstraße 2 (heute Karl-Marx-Straße) grub Slothrop im Auftrag des Schwarzmarkt- Spezialisten Säure unterhalb der Veranda ein Päckchen „Schitt“ aus. Ein anderes Foto zeigt das unkrautbewachsene Gleis, über das sich Slothrop nach Peenemünde anschlich. Ergänzt wird die reichhaltige, über liebevolle Texttafeln kommentierte Ausstellung von Aufnahmen der alliierten Luftaufklärung und verkohlten Raketenteilen aus der Testphase.

Zu den ganz besonders wertvollen Gegenständen aber gehört die Mundharmonika, die Tyrone einst in einem Klo verlor und später in einem Fluß Mecklenburgs wiederfand. Auch Byron, die Birne, untergründiger Überlebensheld und Faker (siehe taz vom 18.1. 86), strahlt noch einmal. Um die Ausstellung aber wirklich zu genießen, sollte man sich vorher eine kleine Dosis „Oneirin“ einpfeifen. Das ist die Zonen-Droge, die die räumliche und zeitliche Dimension der Ereignisse voneinander trennt. Man wird dann die Exponate weniger objektiv, vielmehr aber als Materialisierung der eigenen Phantasie nehmen – als Film zum Buch im eigenen Kopf gewissermaßen. Bernd Gammlin

Kunst-Werke, Berlin-Mitte, Auguststraße 69, Di.-So. 14-18 Uhr, bis zum 15. April. Am 19.3. referieren Ulla Hasselstein, Stefan Heidenreich, F. A. Kittler und Thomas Piltz im Literaturhaus (Fasanenstraße 23) zum Thema Pynchon „Von der Recherche zum Buch zur Recherche“, um 20 Uhr.

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