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Nur keinen Ton zuviel

Mit links gespielt: Der Gitarrist Marc Ribot  ■ Von Christoph Wagner

Gitarristen gibt es wie Sand am Meer. Viele davon – ob im Rock oder Jazz – sind hochversierte Techniker, phänomenale Handwerker; in Lichtgeschwindigkeit fegen sie die Griffbretter rauf und runter. Man nimmt's eher gelangweilt zur Kenntnis, Virtuosität ist sozusagen zum Allgemeingut geworden.

Musikalische Querfinger sind dagegen Mangelware. Aus der Masse ragen nur wenige durch einen individuellen Stil, eine eigenwillige Spielweise heraus.

Aber wie entsteht die? Eine These besagt, daß stilistische Innovationen auf der Gitarre von Musikern kommen, die mit einer Behinderung zu kämpfen haben, einem speziellen Handicap, das sie zwingt, anders zu greifen, anders zu zupfen, die Spielweise an den physisch-mentalen Gegebenheiten auszurichten. Jimi Hendrix, der Linkshänder, war so ein Fall, oder auch Django Reinhardt, der sich durch eine Verbrennung die linke Hand so verkrüppelte, daß nur noch drei Finger voll funktionsfähig waren.

Ein anderes Beispiel ist der New Yorker Gitarrist Marc Ribot, ein Mann, dessen Spielweise in den letzten Jahren immer wieder Furore machte, ob bei den Lounge Lizards, den Jazz-Passengers oder auf Platten von Elvis Costello und John Zorn. Ribots Geheimnis liegt darin begründet, daß er Linkshänder ist, das Instrument jedoch wie ein Rechtshänder spielt, also nach landläufigen Vorstellungen „verkehrt herum“.

In die Annalen der Rockmusik wird Ribot wohl als „der Gitarrist von Tom Waits“ eingehen. Er war auf drei Plattensessions von Waits mit von der Partie, das genügte, um den Grundstein für seinen Ruhm zu legen. Vor allem dem 1985 erschienenen „Rain Dogs“-Album kam sein unverkennbarer Stil zugute. Die Platte wurde zu einem sogenannten Meilenstein der Rockgeschichte, sie verhalf Waits zum Durchbruch und – im Windschatten des Erfolgs – auch Ribot zu internationaler Anerkennung. Seither gilt er als einer der markantesten und außergewöhnlichsten Gitarrenspieler, den die Rockszenerie gegenwärtig zu bieten hat.

Wenn Tom Waits seinen unnachahmlichen Endzeitgesang anstimmte, war Ribot der einzige in der Band, der in der Lage war, mit sägenden Dissonanzen, kaputten Melodiefragmenten und brüchigen Saitenläufen dieser vokalen Gewalt Paroli zu bieten. Zwei unterschiedliche Charaktere prallten aufeinander, die doch eingestandenermaßen Seelenverwandte waren. „Unsere gemeinsame musikalische Ebene ist der Blues“, analysiert Ribot das Verhältnis. „Aber nicht der authentische Blues, sondern eine Art neoklassischer Blues. Waits ist zu klug, um nicht den Widerspruch zu erkennen, als Weißer schwarzen Blues zu singen. Deswegen verfremdet er ihn, spielt ihn als Zitat. Aus diesem Grund gab es auch in meinen Soli elektronisch verzerrte Klänge und Töne, die man normalerweiswe in keinem Blues-Solo hört. Ich hab' damit seine Stimme in einen anderen Rahmen gestellt. Wir spielten Blues, aber auch wiederum nicht. Außerdem gab es dieses Problem der Balance. Seine starke Stimme benötigte einen starken Widerpart. Ich versuchte, ihr etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen.“

Ribot erläutert seine Rolle bei der „Rain Dogs“-Produktion, wobei eine blaue E-Gitarre schon wieder ausgepackt mitten auf dem Boden seines Hotelzimmers liegt, und das, obwohl er erst vor eineinhalb Stunden hier angekommen ist. „Für die ganze Platte hatten wir nur eine Probe von vielleicht einer Stunde Länge. Am nächsten Tag ging es gleich ins Studio. Waits hatte dieses riesige, alte Studio in New York ausfindig gemacht, das wahrscheinlich vor 25 Jahren einmal modern gewesen war, mit diesen uralten Röhren-Verstärkern, um ganz bewußt einen altmodischen Sound zu bekommen. Er spielte Gitarre und tanzte dazu im Studio herum, um uns klarzumachen, was er wollte. Es war ein Entstehungsprozeß, der sehr ähnlich zu dem einer Theaterproduktion war. Er beschrieb uns die Charaktere, die die einzelnen Instrumentalstimmen darstellen sollten.“

Den Job bei Waits bekam Ribot, weil der ihn eines Nachts in einem New Yorker Club gehört hatte, bei einem Auftritt mit den Lounge Lizards. In dieser „Fake Jazz“-Combo von John Lurie, den Waits von der gemeinsamen Schauspielerei für Jim-Jarmusch- Filmen her kannte, hatte Ribot die Nachfolge von Arto Lindsay an der Gitarre angetreten (nachdem der mit seinen Lärmexplosionen zum Star der Untergrund-Szene von Downtown Manhattan avanciert war). Lindsay wurde für Ribot zum entscheidenden Impulsgeber. Er öffnete ihm die Gehörgänge für ganz neue Sounds, für bizarre Klänge jenseits der Gitarren- Lehrbücher, immer nah an der Lärmgrenze.

„Als ich Arto Lindsay zum erstenmal hörte, war ich ein braver Gitarrenstudent, der fleißig die verschiedenen Stile und Spielweisen lernte. Sein Spiel riß mir die Ohren ab. Ich spürte sofort, daß er besser Jazz spielte als Jim Hall, obwohl es offensichtlich war, daß er gar nicht Gitarre spielen konnte. Aber es klang wild und aufregend und drückte mehr aus als diese musikalische Selbstbefriedigung der Griffbrettwichser.“

Ribot erzählt, daß es gedauert hat, bis der Schock verarbeitet war. Er entdeckte die Saitenextremisten Bern Nix, James Blood Ulmer, Fred Frith und Elliot Sharp, und auch sie wurden zu wichtigen Einflüssen. Die Schwierigkeit bestand darin, das neuentdeckte Universum der Geräusche in sein altes musikalisches Weltbild zu integrieren, wo bisher der Howlin'-Wolf- Gitarrist Hubert Sumlins, Django Reinhardt, aber auch die Modernjazz-Pioniere Albert Ayler und Ornette Coleman das Maß aller Dinge gewesen waren. Nur langsam gelang es ihm, die Atonalität der Avantgarde mit traditionellem Blues und Zigeunerjazz in schlüssiger Weise zu verbinden. „Mein Spiel entwickelte sich durch Subtraktionen. Ich ließ alles weg, was mich bei den anderen Gitarristen auf die Palme brachte. Daß ich ein Linkshänder bin, der wie ein Rechtshänder spielt, erschwerte mir das Spiel, aber es entstand auch der Zwang, absolut ökonomisch zu spielen, nur keinen Ton zu viel.“

Heute hat Ribot die Phase, in der er Sideman und Begleitmusiker anderer war, längst hinter sich gelassen (Keith Richards und Joe Gore haben auf der aktuellen Veröffentlichung von Tom Waits seinen Platz eingenommen). Er formierte etwa die „Rootless Cosmopolitans“ – ein Quintett, das so wurzellos nicht war, wie sein Name vorgab: Im hektischen, rabiaten Jazz-Rock-Noise-Gemisch, in dem die Keyboards von Anthony Coleman und die schrille Klarinette von Don Byron für zusätzliche Turbulenzen sorgte, war so etwas wie ein New Yorker Heimatgefühl herauszuhören, Dorf-Identität im Global Village. „Der Name der Band stammt aus der Sowjetunion der Stalinzeit und beschrieb damals einen Straftatbestand. Besonders Juden und Intellektuelle wurden unter dem Vorwurf, ,wurzellose Kosmopoliten‘ zu sein, eingesperrt und ermordet. Das ist mein Bezug dazu als Jude“, klärt Ribot über die Namensgebung auf, um dann gleich klarzustellen, daß die Musik sich nicht (nur) aus jüdischen Quellen speist.

Auch bei seiner neuesten Gruppe, die er Anfang des Jahres zum ersten Mal in Europa präsentierte (und von der noch keine Platte zu haben ist), ist nur der Name eine Reminiszenz an die Herkunft. Das Wort „Shrek“ ist dem jiddischen Wortschatz entlehnt – Ribot hat es bei seiner Großmutter aufgeschnappt – und heißt soviel wie „Schreck, Schreck, erschrecken“.

Als Bandname trifft's das. Die Musik von „Shrek“ ist von der brachialen Sorte, wenngleich die Besetzung klassisch und ein wenig bieder ist: zwei Leadgitarren, Baßgitarre und Schlagzeug. Bloß in der Musik selbst schlägt Ribots gesamte Kosmopolitensozialisation durch: Bleichgesichter-Blues der Güteklasse „Waits“ wird zu frühem Ragtime-Jazz zerhackstückelt. Brutalo-Rock in minimalistischer Noise-Manier in der Glen Branca oder Rys Chatham-Tradition löst sich in hurtigen Elektro- Folk auf. Der Balkan läßt grüßen. Jimi Hendrix, die Beatles und die Stones schauen als Punks herein. Das Schlagzeug donnert in Hardcore-Manier. Bei jeder leiseren Passage atmet das Publikum auf, um alsbald noch heftigere Lärmgewitter auf sich niedergehen zu hören. Es tut ein bißchen weh. Und trotzdem wünscht man sich, daß der Schrecken auch auf Platte rüberkommt. Genau so.

Aktuelle Platte: Marc Ribot's Rootless Cosmopolitans – Requiem for What's His Name. Disc du Crepuscule/Rough Trade.

Marc Ribot mit John Zorn – Kristallnacht; 99-Records

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