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Platonische Höhlen

■ Zum Abschluß der Mediale diskutierten Kulturwissenschaftler auf einem Symposium im Literaturhaus die 'Vier Elemente–

diskutierten Kulturwissenschaftler auf einem Symposion im Literaturhaus die Vier Elemente

Zum Abschluß der Mediale wurde das Motto der Deichtorhallenausstellung, die vier Elemente, in einem von Hartmut Böhme organisierten Symposion auf seine inhaltliche Bestimmung befragt. Unter dem Titel Materialität und Immaterialität der Elemente in Geschichte und Gegenwart der Kunst spannten zehn Kulturwissenschaftler an zwei Tagen einen großen Bogen von den ersten Schöpfungsmythen über Renaissance-Gärten zu der angeblichen Wesenslosigkeit elektronischer Kunst. Daß es über die Mediale und das Berliner vorolympischen Kulturprogramm hinaus eine gewisse Aktualität des Themas gibt, zeigt sich darin, daß die jahrtausendelang erst praktisch, dann symbolisch gültige Elemente-Lehre erst jetzt wissenschaftlich umfassender bearbeitet wird.

Die moderne Naturforschung kann in ihren Grenzbereichen die Unbrauchbarkeit des jahrhundertelang erkämpften exakten Weltbildes nicht mehr verleugnen. Das bewirkt massive Irritationen ähnlich denen nach der ersten Demonstration des Vakuums 1654, die konkret mit dem Nichts konfrontierte. Die Wissenschaft errang ihre Erfolge, indem sie die Frage nach den Uranfängen zurückstellte und sich den Wirkmechanismen zuwandte, statt der elementaren Strukturen die chemischen Elemente zu zählen begann. Die Vorstellung von elementarer Natur fand dafür ihren Platz in der romantischen Kunst des 19. Jahrhunderts, meist verklärt, aber auch als chaotische Energie in den Gemälden Turners.

Doch der Bedarf nach systematischem Halt läßt heute wieder stärker nach dem Grund allen Seins fragen. Weltformeln in Esoterik und Atomphysik, Ökologie, Indianermythen und neues Körperbewußsein geben eine Fülle von Antworten, die die Erde als Körper denken oder auch die alte Elementelehre wiederaufnehmen. Die Suche gilt einer neuen Ganzheit. Doch alles dies entkommt nicht einem romantisierenden Hauch, der in der Variante eines neuen esoterischen Glaubens (wie in der Installation von Marina Abramovic) seine ganz unangenehme Seite zeigt.

Die Elemente sind in der modernen Kunst zwar auffindbar, werden aber im systematischen Zusammenhang kaum zum ausdrücklichen Gegenstand. Auch die Medienkünste greifen mit Feuerschein und Wasserrauschen in romantischer Tradition auf Elementares zurück. Horst Bredekamp begrüßt die neue Tendenz zur Verbildlichung, kritisiert aber bei allem einen Mangel an Komplexität. Im Florenz der Renaissance bestimmte die ästhetische Theorie die Politik; Bildaufbau, Landschaftsgestaltung und Theaterinszenierungen erreichten zum Barock hin einen bisher durch nichts übertroffenen philosophischen Beziehungsreichtum.

Auch die These von der Immaterialität ist nicht neu. Das Verhältnis von Kunst und Technik im Konzept des „disegno“ zwischen 1580 und 1630 ist weit immaterieller als jede Computersimulation. Überhaupt enthält, wie Hartmut Böhme ausführte, die aktuelle Diskussion um Immaterialität ein Gutteil Neuplatonischer Weltverachtung: Mittelalterlichen Mönchen gleich zieht sich der zivilisierte Mensch vor der immer gräßlicher werdenden Umwelt elitär und individuell in seine Zelle zurück und opfert alle Substanz für die letztlich weltverachtende scheinbare Transzendenz modernster Medien. Nur – Stichwort „Postmoderne“ – so leicht läßt sich die Realität nicht abschaffen. Nicht der materiellen Welt stehen die immateriellen Medien gegenüber, aller menschlicher Zugang zur Welt, in welcher Form auch immer, erzeugt Vorstellungen. Wir leben nicht mit, sondern in Metaphern, gab Karl Clausberg zu bedenken.

Ein verbindliches System von Welt kann zur Zeit nur betrauert, nicht aber mehr zusammengedacht werden. Als einzig Gewisses in aktueller Wissenschaft, Kunst und Theorie verweigert der permanente Wandel oder das Chaos als Urgrund sich elementar strukturierendem Zugriff. So bleibt im Sinne von Jeannot Simmen zu resümieren: Der Ausgang aus der mehrfach zitierten platonischen Höhle in Richtung auf die Erkenntnis des Wahren, Schönen und Guten führt ausschließlich in immer weitere, wenn auch komfortablere und buntere Höhlen, sei es Cyberspace oder nur der kunsttheoretische Diavortrag im künstlichen Dunkel an einem strahlenden Frühlingstag. Hajo Schiff

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