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Haiehenker und Hebammer

Die Düsseldorfer EG wird durch ein 2:1 nach Verlängerung Deutscher Puckmeister und Kölns Torwart Beppi Heiss zur tragischen Figur  ■ Aus Düsseldorf Bernd Müllender

56 Saisonspiele, darunter volle fünf Endspielmatches, im Final-Finale auch noch eine zweiteilige hochdramatische Verlängerung – dann endlich war das alles entscheidende Tor gefallen auf dem Eisgeviert an der Düsseldorfer Brehmstraße und der Deutsche Eishockeymeister gefunden. Und augenblicklich stand Kölns Torwart Beppi Heiss im Mittelpunkt. Gehätschelt und gekost, begrapscht und fast erdrückt erst von den eigenen Cracks, bald darauf herzlich umarmt von Gegnern wie Chris Valentine und Ernst Köpf. Später am Abend trafen sich 7.000 Haiefreunde im proppenvollen Kölner Eisstadion zu unbegrenztem Freibier und feierten und jubelten, bis kein Kölsch mehr durch die heiseren Kehlen paßte, die Vizemeisterschaft. Welch ein Endspiel! Wahnsinnsfinale! Unfaßbar!

So war's. So wurde Kölns Gegner Düsseldorfer EG am Sonntag Meister. Zum vierten Mal nacheinander. Was noch nie dagewesen ist. Auch noch nicht, daß der Champion erst nach einer Verlängerung im sudden death, der zu Deutsch: plötzlichen Titelgeburt feststand. Den Haiehenker und Hebammer spielte dabei Düsseldorfs Jungvater Benoit Doucet, der nach reichlich Einschußchancen hier wie da das Hartgummiteil nach 73:01 Minuten irgendwie zum 2:1 ins Tor von Beppi Heiss stocherte. Und damit die Schlußsirene der Saison auslöste und es kein Halten mehr gab für unzählige Champagner- Korken im Schickeriabereich Haupttribüne, dem Epizentrum des sportlichen Yuppieismus der Republik, deren Karten vorher auf dem Schwarzmarkt in Dollar (bis mindestens 400) statt in profanen Deutschmarks gehandelt wurden.

Köln hatte als unerwartet starker Außenseiter verloren – unglücklich, weil über alle fünf Finals die mindestens gleichwertige Mannschaft, zudem nur einmal nach 60 Minuten bezwungen und mit dem insgesamt besseren Torverhältnis. Und so kam es, daß Beppi Heiss wirklich intensiven Trost brauchte. „Wer wird niemals Meister? Bep-pi Heiss, Bep-pi Heiss“, hatte der Brehmstaßen- Chor während des langen Spiels immer wieder gesungen und damit die sportliche (Miß-)Erfolgskarriere des Puckfängers treffend verhöhnt. Heiss war in den 80er Jahren viele Jahre bei der DEG, als diese noch mit mäßigem Personal nach dem Puck stocherte. Abomeister zu dieser Zeit: Köln, mit Torwart Helmut de Raaf. Dann tauschten die gleich starken Nationalkeeper den Arbeitsplatz. Die DEG rüstete Spielermaterial auf, begann 1990 die Siegesserie – mit de Raaf. Heiss wurde Rekordvizemeister, liegt jetzt mit 0:8-Titeln tragisch in Rückstand und tut mittlerweile auch den Düsseldorfern leid.

Das erregend-dramatische Hitchcock-Ende des Sonntagsfinals mag die Augen verstellen für das, was in den fünf Endspielen abgelaufen ist. Spitzenhockey ist immer mehr Kampf Mann gegen Mann, disziplinierter Fight bis zum Äußersten und – Otto Rehhagel mag's freuen – stets sehr kontrollierte Offensive. Selbst bei Überzahlspiel gilt die Devise Vorsicht – bloß kein Konter. Zerstörungsarbeit findet auf nahezu perfektem Niveau statt, der kunstfertige Bandencheck ist allemal wichtiger als flinkes Kombinationsspiel, das kaum noch zu sehen ist. Die ersten drei Drittel am Sonntag waren Kampf und Krampf pur, fast ohne Torgelegenheiten; erst in der Verlängerung, in der Situation Sekt oder Selters, sorgten minimale Konzentrationsdefizite für Chancen auf beiden Seiten. Eishockey 93: Wie im Fußball wird die gekonnte, leidenschaftliche Abwehrarbeit zum entscheidenden taktischen Mittel, langfristig zur Erfolgsstrategie dieses einstmals so erregenden „schnellsten Mannschaftsspiels der Welt“, in dem als logische Folge, schon über die ganze Saison, immer weniger Tore fallen und es nicht ein einziges zweistelliges Ergebnis gab.

Zwei Teams standen sich im Finale gegenüber, die beide den Titel gleich viel und gleich wenig verdient hatten respektive hätten. Nur eine Analyse ist stimmig: Glück, nichts als eine homöopatische Dosis Glück im Moment der Momente, eine winzige Lücke im Bruchteil einer Sekunde, entschied nach sieben Monaten Bundesliga das eisige Duell zwischen Helau und Alaaf, Alt-Sekt und Kölsch- Selters, Rheinwessis und Rheinossis.

Und keinesfalls Beppi Heiss, sagt Beppi Heiss, der Unglücklichste. Und wollte nachher noch eines richtigstellen: Mit seinem vorgeblichen Meisterschafts-Menetekel, das sei doch nichts als „ein Schmarrn“. Er sei doch sehr wohl schon einmal Champion gewesen, mit dem SC Riessersee 1981, als 17jähriger Drittorwart, der meisterlich die Ersatzbank wärmte. Mag es ihn trösten. Auch sein Vorhaben, es „nächstes Jahr wieder zu versuchen“.

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