piwik no script img

Zwei Klassen von Opfern des nordirischen Terrors

■ Dubliner Demonstranten gegen die IRA gedachten nur der englischen Toten

Dublin (taz) – „Diese Demonstration entspringt der Mentalität eines kolonialisierten Volkes“, sagte eine etwa 30jährige Frau aus dem nordirischen Belfast. „Wo waren all diese Menschen in den vergangenen 23 Jahren, als unsere Kinder in Nordirland ermordet wurden? Sie haben sich einen Dreck um uns geschert. Aber nachdem zwei englische Kinder getötet worden sind, gehen die Leute plötzlich auf die Straße und wollen Frieden – den wollen wir seit über 20 Jahren.“

Am Sonntag demonstrierten in Dublin 15.000 Menschen gegen die Irisch-Republikanische Armee (IRA), deren Bomben vor zehn Tagen zwei Kinder im englischen Warrington getötet hatten. Die IRA hat inzwischen die Konsequenz aus den Reaktionen gezogen und am Samstag angekündigt, in Großbritannien ab sofort auf Attentate an Orten zu verzichten, zu denen „die Zivilbevölkerung Zugang“ habe. Die Angriffe auf militärische Einrichtungen werden jedoch fortgesetzt.

Zu der Demonstration am Sonntag hatte die 37jährige Dubliner Kindergärtnerin Susan McHugh aufgerufen, die von verschiedenen Friedensgruppen unterstützt wurde. In der vergangenen Woche hatten die Gruppen Tausende von Blumengebinden gesammelt, die per Flugzeug zu den Beerdigungen der beiden Kinder nach England geschickt wurden. „Wann haben sie jemals eine Blume nach Nordirland geschickt“, fragte die Nordirin, als auf der Bühne die RednerInnen der Friedensgruppen und Vertreter der verschiedenen Kirchen an die paramilitärischen Organisationen appellierten, die Gewalt zu stoppen.

Am Rande der Menschenmenge stand Margaret Caraher und hielt ein handgemaltes Schild hoch: „Zum Gedenken an meinen Mann, der von britischen Soldaten ermordet wurde.“ Fergal Caraher war vor zwei Jahren bei einer Straßenkontrolle in Nordirland unter ungeklärten Umständen von Soldaten erschossen worden. Das Gedenken am Sonntag galt jedoch nur den beiden Kindern aus Warrington, Fergal Carahers Witwe wurde von den DemonstrantInnen verjagt. Anderen Leuten, die mit Plakaten an die sechs Katholiken erinnerten, die in der vergangenen Woche von der protestantischen Ulster Defence Association (UDA) ermordet worden waren, wurden nicht nur die Plakate aus der Hand gerissen. Vier von ihnen wurden obendrein wegen „Störung des Friedens“ verhaftet.

Später attackierte die Polizei aus heiterem Himmel einen Stand, an dem Kondolenzlisten für die sechs UDA-Opfer auslagen. Die Beamten warfen den Tisch um und zerrissen die Transparente, auf denen an sämtliche Opfer des Nordirland-Konflikts erinnert werden sollte. „Wir wollten Zusammenstöße zwischen rivalisierenden Fraktionen verhindern“, erklärte der Einsatzleiter gegenüber der taz. „Die Demonstranten fühlten sich von der Gruppe mit den Transparenten bedroht.“ Die Gruppe bestand aus einem halben Dutzend Menschen.

„Die Leute, die hier demonstrieren, haben zweifellos die besten Absichten“, sagte ein Journalist aus Belfast. „Aber sie richten nur noch mehr Schaden an. Die Art, wie hier die nordirischen Kriegsopfer ausgegrenzt werden, läßt in Nordirland den Verdacht aufkommen, daß es zwei Klassen von Opfern gibt. Wir haben im Verlauf des Konflikts schon 121 Kinder begraben. Davon hat in Südirland niemand Notiz genommen, weil es sozusagen unter uns Iren geblieben ist. Aber der ebenso entsetzliche Anschlag von Warrington ist durch die Weltpresse gegangen und hat in der Republik Irland offenbar ein Kollektivschuldgefühl ausgelöst. Das Morden in Nordirland werden sie damit nicht aufhalten.“

Ein Sprecher der UDA bestätigte diese Einschätzung. „Wir verstehen die Abscheu über die Bomben von Warrington“, sagte er. „Aber in Nordirland haben wir das seit 23 Jahren. Wir haben am Neujahrstag angekündigt, daß wir mit bisher unvorstellbarer Härte zuschlagen werden. Unsere Aktionen der vergangenen Woche sprechen für sich selbst. Ich kann mir vorstellen, daß es noch viel schlimmer kommen wird.“ Ralf Sotscheck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen