: Die belagerte „27.Provinz“
Indonesien herrscht weiterhin mit eiserner Härte über Ost-Timor/In diesen Tagen wird der Prozeß gegen den Führer der Befreiungsbewegung FRETILIN wieder aufgenommen ■ Aus Ost-Timor Andreas Zumach
Schon bei der viertelstündigen Fahrt vom Flughafen ins Zentrum von Ost-Timors Provinzkapitale Dili sind mehr Soldaten zu sehen als während eines ganzes Tages in Indonesiens ferner Hauptstadt Jakarta. In ihren Uniformen schwitzen sie in der sengenden Sonne, die schon früh um 8 jeden Schritt zur Qual macht. Anders als im saftig- grünen Java tragen die Palmen hier gelb-braun verbrannte Blätter. Dafür sorgt der heiße Wüstenwind, der aus dem 500 Kilometer enfernten Nordaustralien über den Indischen Ozean herbeiweht.
Im Büro von Generalstaatsanwalt Samen Burba schafft die moderne Klimaanlage eines deutschen Herstellers ein angenehmes, fast unterkühltes Klima. Eigentlich hätte der oberste Ankläger Ost-Timors in der letzten Märzwoche im Prozeß gegen den derzeit prominentesten Häftling Indonesiens in den Ring steigen sollen: José Alexandre „Xanana“ Gusmao, Führer der „Revolutionären Front für die Unabhängigkeit Ost-Timors“ (FRETILIN), der seit der – bis heute von der UNO nicht anerkannten – Annexion Ost-Timors durch Indonesien im Jahre 1975 im Untergrund kämpfte. Am 20.11.92 hatte die Armee Gusmao im Keller eines Hauses in Dili aufgestöbert. Seit dem 26.1. wird gegen den FRETILIN-Chef verhandelt.
Um die „absolute Rechtsstaatlichkeit“ des Verfahrens zu unterstreichen, liest Staatsanwalt Burba die Vorschriften aus dem dicken, noch von den niederländischen Ex-Kolonialherren stammenden Strafgesetzbuch vor. „Subversive Tätigkeit“, „Verschwörung“ und „unerlaubter Waffenbesitz“ – der Staatsanwalt ist sicher, Gusmao zumindest einen dieser drei Verstöße nachweisen zu können. Auf alle drei Vergehen steht als Höchststrafe lebenslänglich Gefängnis. Dem Schreiber dieser Zeilen war die Beobachtung des Verfahrens von der Regierung in Jakarta seit Wochen fest zugesagt. Doch dann wurde der Prozeß überraschend bis zum 1. April unterbrochen. Wenig überzeugend ist die Begründung des Staatsanwaltes: nach der Anhörung von 19 Zeugen der Anklage, die das Gericht seit Ende Januar einvernommen hat, hätten die drei Verteidiger des FRETILIN-Führers letzte Woche „überraschend“ die Vorladung eines Entlastungszeugen beantragt. Der stehe aber „erst am 1.April zur Verfügung“. Dies ist vorerst ebensowenig überprüfbar wie die Version des Staatsanwalts vom „äußerst kooperativen“ FRETILIN-Führer, der nach seiner Festnahme „seine Fehler eingestanden“ und die „verbleibenden 60 bewaffneten Mitglieder dieser kriminellen Organisation zur Aufgabe aufgefordert habe“.
FRETILIN-Führer in Isolationshaft
Die portugiesische Regierung glaubt nicht, daß Gusmao seine Aussagen freiwillig gemacht hat. Sie will über Beweise verfügen, wonach Gusmaos Schwestern Manuela und Armandina gleich nach dessen Festnahme gefoltert wurden, um den FRETILIN-Führer zu diesen Aussagen zu zwingen. Amnesty international (ai) liegen Berichte vor, wonach auch Gusmao selber, der bis zum 11.Dezember in Isolierhaft saß, in dieser Zeit „physisch und psychisch gefoltert wurde“. Der Staatsanwalt „kann“ sich zu diesen Vorwürfen „nicht äußern“. Denn „nach den Bestimmungen unseres Strafrechts“ war in den ersten drei Wochen nach Gusmaos Festnahme ausschließlich die Polizei für den Inhaftierten zuständig. Erst am 11. Dezember wurde er dem Büro des Anklägers und mit Prozeßbeginn im Januar der Obhut des Richters unterstellt.
Das Dickicht aus Widersprüchen und unbeantworteten Fragen könnte wahrscheinlich nur Gusmao selber aufhellen, der während unseres Gesprächs wenige hundert Meter entfernt in seiner Zelle sitzt. Doch eine Begegnung mit dem Häftling sei „leider nicht möglich“, erklärt der Staatsanwalt mit verständnisheischendem Lächeln. Nach dem bislang einzigen Besuch durch die in Indonesien stationierten Delegierten des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) am 7.Dezember habe der FRETILIN-Führer „verlangt, außer seinen Verteidigern keine Besucher mehr vorzulassen, auch keine Verwandten oder IKRK- Vertreter“.
Der IKRK-Delegierte in Dili will sich weder zum Fall Gusmao noch zu anderen Aspekten seiner Arbeit äußern. Er habe „strikte Anweisung, keine Informationen an Journalisten zu geben“. Das IKRK stehe „ohnehin ständig unter dem Verdacht der hiesigen Militärs“, Informant ausländischer Medien zu sein. Und die Situation in Ost-Timor sei „bereits äußerst angespannt“. Keine Antwort gibt es auch auf die Frage, ob die IKRK-Vertreter bei ihrem ersten Besuch des FRETILIN-Führers Hinweise auf Folter oder andere Formen der Druckausübung erhalten haben.
Wie angespannt das Verhältnis zwischen dem IKRK – der seit 1979 einzigen dauerhaften internationalen Präsenz in Ost-Timor – und den indonesischen Autoritäten ist, wird am Abend in der Residenz von Gouverneur Abillio Soares deutlich. Bei Nasi-Goreng und aus Singapur importiertem Vino tinto erklärt Soares, das IKRK habe „in Ost-Timor keine Rolle mehr zu spielen“. Wie seine Amtskollegen in den anderen 26 Provinzen Indonesiens ist auch Soares von der Regierung in Jakarta eingesetzt. „Es liege in der Kompetenz“ dieser Regierung, „die Präsenz des IKRK zu beenden“, fügt ein hoher Funktionär des Außenministeriums mit drohendem Unterton hinzu.
Nach Aussagen von Mitgliedern und Sympathisanten der FRETILIN werden derzeit „rund 500 politische Gefangene in kleinen Gruppen von zwei bis drei Personen auf dem Land außerhalb Dilis von Militärs festgehalten“. Viele von ihnen würden gefoltert. Laut ai nahm das Militär allein Mitte November 92 vor allem in Gusmaos Heimatregion Mantuto, in den Bezirken Lospalos und Viqueque sowie in Dili „Hunderte“ von Personen fest, von denen „sich die meisten noch in Haft befinden sollen“. Sie wurden verdächtigt, Aktionen zum ersten Jahrestag des Massakers vorzubereiten, bei dem am 12.November 91 rund 100 Teilnehmer einer friedlichen Protestdemonstration in Dili von Militärs erschossen wurden. Auch ai berichtet von Folter, dem „Verschwindenlassen“ von Personen sowie „mutmaßlichem staatlichem Mord“.
Mehr als genügend Gründe also für eine fortgesetzte, ja verstärkte Präsenz des IKRK. Doch Gouverneur Soares widerspricht vehement. In ganz Ost-Timor gäbe es derzeit lediglich fünf Personen, die wegen „politischer Delikte“ zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden und inhaftiert sind. Acht weitere befänden sich in einem „Rehabilitationszentrum“. Soares kündigt zudem Schritte zur „völligen Normalisierung der Lage“ an. Derzeit werde die Armee „ständig reduziert“. Bis Oktober diesen Jahres sollen die letzten der hier seit 1975 stationierten, besonders gefürchteten Kampftruppen Ost- Timor verlassen haben. Das bisherige Sonderkommando der Armee wird nach Auskunft des Gouverneurs bereits zum 1. April aufgelöst. Die hiesigen Soldaten würden dann dem für ganz Ostindonesien zuständigen Territorialkommando in der javanischen Hafenstadt Surabaya unterstellt.
Deal zwischen Jakarta und dem Vatikan
Seit die Portugiesen ihre völlig heruntergewirtschaftete Kolonie nach 400 Jahren 1974 fluchtartig verließen, hat die indonesische Regierung zwecks Normalisierung und Befriedung der Lage riesige Summen in die Verbesserung der Infrastruktur vor allem in den ländlichen Regionen außerhalb Dilis gesteckt. Bei einer Fahrt über die Insel sind die Ergebnisse dieser Anstrengungen zu besichtigen, die die jüngste Ost-Timor-Broschüre des Außenministeriums in eindrucksvollen Statistiken zusammenfaßt: die Zahl der Schulen stieg in den letzten 18 Jahren von 50 auf 708 an, die der Krankenhäuser von zwei auf zehn. Aus 20 Kilometern asphaltierter Straßen wurden 536.
Zu den 100 Kirchen im Jahre 1974 kamen seitdem 636 Neubauten, vor allem für die 90 Prozent Katholiken unter der Bevölkerung Ost-Timors. Darunter eine große Kathedrale, die im Westteil Dilis etwas verloren mitten auf der sonnenverbrannten Wiese steht. Errichtet wurde sie nach dem Papstbesuch im Jahre 1989. Teil des Deals zwischen Rom und Jakarta: Ost-Timors Bischof Carlos Belo erhielt Order aus dem Vatikan, sich künftig nicht mehr zu politischen Fragen zu äußern. Hält der Bischof sich nicht daran, kann Gouverneur Soares ihm öffentlich mit seinem Rauswurf drohen, ohne einen Konflikt mit dem Vatikan befürchten zu müssen. So geschehen Ende Februar, als Belo die Armee beschuldigte, FRETILIN-Sympathisanten durch Folter zum Abschwören von ihrer politischen Überzeugung zu zwingen.
Die Provinz hängt am Tropf der Zentrale
Die Betreiber einer spanischen Missionsstation im Bezirk Lospalos lassen sich von solchen Einschüchterungsversuchen nicht beeindrucken. Sie berichten vom regelmäßigen Zusammenbruch der Elektrizitätsversorgung in den umliegenden Dörfern, von Hungertoten und von Babys, die völlig entkräftet zur Missionsstation gebracht werden. Nach Einschätzung der Missionare ist die Zahl derer, die unterhalb der von der UNO definierten Armutsgrenze leben, unter den 750.000 Ost-Timoresen überproportional groß.
Auch beim Gang durch Dili wird deutlich, wie brüchig die Fassade der eindrucksvollen Entwicklungsstatistiken ist. Am Sandstrand im Osten rotten noch immer die Boote vor sich hin, mit denen 1975 die ersten indonesischen Truppen auf der Insel landeten. In den Slumvierteln in diesem Stadtteil, jenseits eines stinkenden Abwasserkanals gelegen, hat sich nach Auskunft eines langjährigen Kenners Ost-Timors „seit 1974 außer der Zunahme der Autos nichts geändert“. Vom nahe liegenden Universitätsgebäude rufen einige Studenten ein freundliches „Hey, Mister“ und die Frage „Where you from?“ herüber. Obwohl sie laut offiziellem Unterrichtsplan bereits sechs Jahre lang Englisch gelernt haben, ist eine weitere Unterhaltung nur auf indonesisch oder portugiesisch möglich. Ihre Aussichten auf eine Stelle in Ost-Timor nach dem Abschluß ihres Studiums sind äußerst gering. Derzeit gibt es hier über 4.000 arbeitslose Hochschulabsolventen. Einige wenige kommen vielleicht im Bereich der Provinzregierung und -verwaltung unter.
Wirtschaftsunternehmen oder die Tourismusbranche gibt es bisher in Ost-Timor fast überhaupt nicht. Firmen aus dem Ausland oder dem übrigen Indonesien halten sich bislang mit Investitionen zurück. Die „27. Provinz“ hängt völlig am Tropf der Regierung in Jakarta, die in diesem Jahr 97 Prozent des diesjährigen Haushalts von Ost-Timor finanziert. Bei aller Unzufriedenheit mit den derzeitigen Zuständen und wenig rosigen Aussichten für die eigene Zukunft sieht jedoch kaum ein Gesprächspartner eine Alternative zur Integration in Indonesien. „Wir müssen realistisch sein“, heißt es allenthalben. „Ein unabhängiges Ost-Timor wäre noch weniger lebensfähig.“
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