: Zauber, Krieg und Asche
■ Das Museum für Kunst und Gewerbe würdigt die Fotografin Lee Miller mit Arbeiten vom Surrealismus bis zur Nachkriegszeit
mit Arbeiten vom Surrealismus bis zur Nachkriegszeit
Die amerikanische Künstlerin Lee Miller besetzt keinen Platz in den Ehrenrängen der Kunstprominenz unseres Jahrhunderts. Daß ihre Abwesenheit nicht mit einer zweifelhaften Qualität ihrer Werke begründet werden kann, wird dem Besucher in der ihr gewidmeten Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe rasch und auf eindrucksvolle Weise deutlich.
Geboren wurde Lee Miller 1907 in New York. 18jährig kommt sie als Studentin nach Paris, in die turbulente Kulturmetropole der 20er Jahre, wo sie erste Kontakte mit den Surrealisten um André Breton aufnahm. Zurück in New York wird ihre außergewöhnliche Photogenität vom Vogue-Verleger Condé Nast entdeckt und sie begann für so namhafte Photographen wie Steichen, Horst und Hoyningen- Huen Modell zu stehen. 1929 kehrte sie nach Paris zurück und lernte Man Ray kennen. Sie wurde der Reihe nach sein Modell, seine Mitarbeiterin, seine Muse und Geliebte. Rasch entwickelte sich die schöne junge Frau zu einer begabten und einfallsreichen Künstlerin. Gemeinsam mit Man Ray entdeckte sie die Technik der Solarisation.
In den Arbeiten Lee Millers aus dieser Zeit ist der Einfluß von Man Ray unübersehbar. Die feinsinnig arrangierte Makellosigkeit der Motive, die Vorliebe für Porträts von Künstlerfreunden, das ruhige, beinahe schon starre Gleichgewicht von Licht und Schatten benützen eindeutig ein der Formensprache Man Rays entlehntes Vokabular. Sie porträtiert unter anderem Picasso, Chaplin, Eluard, Gertrude Lawrence, Dorothy Hill, Sutherland und ihren zukünftigen Mann, Roland Penrose. Doch schon früh emanzipiert sie sich von ihrem Lehrer und in einigen Bildern erinnert die kühle graphische Prägnanz und die eigenwillige Komposition nicht so sehr an Man Rays abstrakte „Rayographien“ als an den Kon-
1struktivismus von Rodschenko. Nach langen Reisen durch Europa, den Balkan, Ägypten wird sie 1942 Kriegsberichterstatterin für die US- Armee. An vorderster Front photographierte die Künstlerin nun Bombenangriffe, Feldlazarette, die Befreiung von Paris, das kapitulierende Deutschland und die Schrecken, die die Alliierten in den Konzentrationslagern vorfinden. Nach Kriegsende dokumentierte sie das Flüchtlingselend in Osteuropa und in der aus der Vogelschau aufgenommenen Erschießung von Lazló Bardossy in Budapest öffnet sich vor dem Betrachter ein Abgrund des Grauens. 1947 heiratete Lee Miller Roland Penrose. Nach einigen ruhigen Jahren wird sie depressiv. Noch arbeitet sie weiter als Photographin, an Büchern über Picasso und Tapies, macht subtile Porträts von Max Ernst, Juan Miró, Jean Dubuffet, Georges Limbour und Saul Steinberg, in denen wie nirgendwo sonst das Feminine in ihrer Kunst seinen klarsten Ausdruck findet. Aber ihre Energie läßt nach und immer mehr wendet sie sich einer anderen Kunst zu: dem Kochen. Ihr photographisches Werk erscheint ihr allerdings nun völlig wertlos. Sie gewährt niemandem Zugriff auf ihr Archiv und hinterläßt bei ihrem Tod 1977 über 40000 Negative. 96 Bilder aus diesem Schatz sind jetzt auf recht beengten Raumverhältnissen ausgestellt. Auf das chronologische Prinzip wurde aus Rücksicht auf die thematische Zugehörigkeit hier und 1
2da geschickt verzichtet.
Die mit ihrer rastlosen und extremen Lebensführung verbundenen Legenden um ihre Person erschweren eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Lee Millers Werk. Zweifellos ist es in seiner Bedeutung mit dem Oeuvre von Giséle Freund vergleichbar. Ihre Wiederentdeckung entspringt nicht nur einem neuerwachten Interesse am Surrealismus, sondern auch der all-
1gemeinen Sensibilisierung für die Rolle und Bedeutung der Frau in der Kunst.
Die Ausstellung, die 1990/1991 in vielen amerikanischen Museen zu sehen war, zeigt nun erstmals in Europa den Reichtum und Wert ihres photographischen Schaffens. Daniel Rau
Bis zum 23. Mai, Museums für Kunst und Gewerbe; Katalog: 122 Seiten, 99 S/W-Abbildungen, 38.- Mark
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