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Eltern verzichten auf Anklage

■ Prozeß um internationalen Kinderhandel: Eltern eines geraubten Jungen wollen angeblich keine Strafverfolgung

Berlin. Die Eltern eines aus einem Spandauer Asylbewerberheim geraubten einjährigen Jungen haben angeblich auf eine Strafverfolgung des wegen Kinderhandels angeklagten holländischen Sinti-Paares verzichtet. Aus diesem Grund beantragte die Verteidigung gestern vor dem Landgericht, das Verfahren gegen den 44jährigen und seine 36jährige Frau in diesem Fall einzustellen. Die Angeklagten haben den Vorwurf des gewerblichen Kinderhandels bestritten. Das Paar will den Jungen und ein in Braunschweig entführtes dreijähriges Mädchen legal in seiner Obhut gehabt haben. Die Polizei hatte die Kinder im Oktober 1991 im Wohnwagen der Angeklagten gefunden.

Die Verteidigung legte am dritten Verhandlungstag überraschend ein Schriftstück vor, demzufolge die jetzt in Serbien lebenden Eltern des Jungen „von der Unschuld der Angeklagten überzeugt worden seien“, nachdem im Januar ein Rumäne und ein Serbe für die Entführung ihres Sohnes zu Haftstrafen verurteilt worden waren. Die Eltern sollen quittiert haben, daß sie einen Geldbetrag zum Wohle des Kindes erhalten haben und die Strafverfolgung der Holländer nicht mehr wünschen.

Der niederländische Rechtsbeistand der Sinti-Familie berichtete vor Gericht, er sei in der vergangenen Woche mit Hilfe von Diplomaten über Ungarn nach Serbien gereist. Der Jurist will zwar kurz hinter der Grenze gestoppt worden sein, ein Polizist habe sich jedoch bereitgefunden, zu vermitteln und 10.000 Mark an die Eltern zu überbringen. Der Zeuge wußte jedoch weder, ob das Geld angekommen ist, noch ob das Dokument tatsächlich von den Eltern unterschrieben wurde. Kindesentzug kann nur verfolgt werden, wenn die Erziehungsberechtigten Anzeige erstatten. Falls das Gericht dem Zeugen und den Dokumenten Glauben schenkt, könnte sich der Vorwurf auf den Fall des entführten Mädchens reduzieren.

Ein geheimer Informant hatte die beiden Angeklagten 1991 in einer vertraulichen Vernehmung bei der Polizei belastet. Der damalige Vernehmungsbeamte sagte vor Gericht, der Informant habe von zehn Kindern gesprochen, die der Holländer verkaufen wollte. dpa

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