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Widerspüche und Zwecklügen

■ Bei dem jetzigen Einsatz deutscher Soldaten wird es in Zukunft nicht bleiben

Wie immer die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts letztlich ausfallen wird — ihre Folgen werden die Koalitionsregierung und hier vor allem die Minister Volker Rühe und Klaus Kinkel entweder in erheblichen Widerspruch zu noch jüngst vertretenen Positionen bringen — oder sie der Zwecklüge überführen.

Noch im Juli letzten Jahres etwa anläßlich ihrer Washingtoner Antrittsbesuche als neuer deutscher Verteidigungs- beziehungsweise Außenminister, argumentierten beide vehement für eine „Normalisierung“ der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik und für eine unbeschränkte Teilnahme deutscher Soldaten an internationalen Einsätzen zumindest im Rahmen der UNO.

Die einzige Einschränkung machten Kinkel und Rühe damals mit Blick auf Ex-Jugoslawien. Dort – so beide Minister gleichlautend vor deutschen Journalisten in der Residenz des Bonner Botschafters – sei ein Einsatz deutscher Soldaten aus „historischen Gründen völlig undenkbar“. Insbesondere Rühe bestand auf dem „absoluten Sonderfall Jugoslawien“, konnte sich hingegen Einsätze von Bundeswehrsoldaten in der Ukraine oder anderen europäischen Regionen, in denen zwischen 1939 und 1945 Wehrmacht oder SS gewütet hatten, „heute durchaus vorstellen“. In Jugoslawien würde wegen der damaligen Allianz zwischen Nazis und der kroatischen Ustaja aber „jeder deutsche Uniformträger sofort zur Hauptzielscheibe serbischer Heckenschützen“.

Genau dieses Szenario droht jetzt. Denn sollte das Karlsruher Gericht den Verbleib deutscher Luftwaffenoffiziere in den entlang der Adria-Küste kreisenden Awacs-Flugzeugen bestätigen, ist damit natürlich der Rubikon überschritten. Es wird nicht bei diesem für die Serben ja noch relativ anonymen und geographisch fernen Einsatz deutscher Soldaten bleiben. Nach all den grundsätzlichen Behauptungen, die Rühe, Kinkel und auch Nato-Generalsekretär Wörner gestern vor dem Bundesverfassungsgericht noch einmal für die weitere deutsche Teilnahme an den Awacs-Operationen angeführt haben (Bündnisfähigkeit der Deutschen“ sowie „Effizienz und Glaubwürdigkeit der Nato“ ständen „auf dem Spiel“ etc.) wird die Bundesregierung sich künftigen Aufgaben nicht mehr verweigern können.

Weder, wenn der UNO-Generalsekretär in einigen Wochen Truppen-Kontingente für eine mindestens 60.000 Mann starke Truppe zur Überwachung eines Abkommens in Bosnien-Herzegowina suchen sollte. Noch, wenn – falls überhaupt kein Abkommen zustande kommt und der Krieg andauert – doch noch eine internationale oder UNO-Truppe mit Kampfauftrag zur Intervention in Bosnien-Herzegowina zusammengestellt wird.

Sollte das Gericht den Verbleib der Luftwaffenoffiziere in den Awacs-Maschinen jedoch für verfassungswidrig erklären, werden sich die Behauptungen der Bundesregierung sowie des Nato-Generalsekretärs über die Unerläßlichkeit der deutschen Beteiligung bald als reine Zwecklügen herausstellen. Denn natürlich wird die Nato die Awacs-Operationen weiterführen. Für den Fall eines deutschen Ausstiegs gibt es ausreichend Ersatzmannschaften gleicher Qualität aus anderen Bündnisstaaten.

Das wird sowohl im Brüsseler Nato-Hauptquartier wie auf der Hardthöhe bestätigt. „Schon allein für den Fall einer Grippewelle unter den im aktiven Einsatz befindlichen Awacs-Soldaten müssen wir immer ausreichende Ersatzmannschaften bereithalten“, erklärt ein Offizier im Brüsseler Nato-Stab.

Ein Dilemma besteht aber auch für die FDP: die jetzt inszenierte Kontroverse um die deutsche Awacs-Beteiligung kommt zur falschen Zeit. Entsprechende Klagen hätten die Fraktionen der FDP und der SPD konsequenterweise schon einreichen müssen, als die Awacs-Maschinen im letzten Jahr ihre Aufklärungsmission vor der Adriaküste begannen.

Auch wenn die Maschinen bisher nicht als Feuerleitstelle zur Heranführung von Nato-Kampfflugzeugen an serbische Jets dienten, sondern Verletzungen des Luftraums über Bosnien-Herzegowina lediglich registrierten: die in der von der FDP-Fraktion jetzt eingebrachten Klage monierte Überschreitung der im Nato-Vertrag festgelegten geographischen Grenzen geschah bereits mit der Verlegung der Maschinen, die bis zum Fall der Berliner Mauer entlang der ehemals deutsch-deutschen Blockgrenze ihre Aufklärungsmissionen flogen, an die Adria. Andreas Zumach

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