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Die lange Nacht vom 11.4.1968

Ein Rückblick ohne Zorn auf die Kampagne zur Enteignung Axel Cäsar Springers  ■ Von Christian Semler

Vom dritten Stock des Neubaus der taz aus, wo die Korrektoren ihren niemals endenden, stummen Kampf mit der Schreibweise neuer Staatswesen und schurkischer Emporkömmlinge aus fernen Ländern ausfechten, hat man einen ausgesprochen schönen Ausblick auf das Springer-Hochhaus. Doch ach, am Abend, wenn allerorts (neuerdings auch am taz-Haus) die Neonreklamen aufleuchten, bleibt es dunkel am First des Springerhauses. Seit Monaten mühen sich die Handwerker, aber das stolze „Axel Springer Verlag“ will einfach nicht strahlen – so als ob die Hochburg der Lüge und der Manipulation zeitlich und räumlich auf ehemals realsozialistisches Gelände verschoben worden wäre.

Kein Zweifel: Nicht nur die Linke, sondern auch ihr ehemaliger Lieblingsfeind sind nicht mehr das, was sie mal waren. Die Auflage des taz-Moskitos stagniert, die Auflage des Bild-Elefanten weist steil nach unten – zugegebenermaßen ein billiger Triumph. Aber auch inhaltlich ist kein Verlaß mehr auf Springer! Malen die Zeitungen des Konzerns nicht das Bild des weltoffenen, mutig gegen Fremdenhaß und Rassismus auftretenden Berliners? Und strafen sie damit nicht die feingesponnenen Analysen der 68-Studenten Lügen, nach denen das Schüren der Angst vor dem Fremden (letztlich vor dem Fremden in uns selbst) zu den unverzichtbaren Ingredienzien der Springer-Giftküche gehörte?

Aber auch die taz würde dem Apo-Aktivisten der späten 60er Jahre allenfalls zu einigen wegwerfenden Bemerkungen über unzuverlässige Bündnispartner veranlassen. Sie hat, den Inhalten und mehr noch der journalistischen Methode nach, längst den Anspruch auf Gegenöffentlichkeit hinter sich gelassen, längst – und dies zu Recht – darauf verzichtet, unmittelbares Sprachrohr der „Betroffenen“ zu sein. Nicht die Befreiung des fetischisierten Bewußtseins der Massen, sondern, unendlich bescheidener, die Stärkung demokratischer Widerstandskerne in der Gesellschaft gegenüber den Zumutungen der Machtelite ist das Motiv, das die tazler täglich zu ihrer unterbezahlten Arbeit an die Computer treibt. „Die Diktatur der Manipulateure muß gebrochen werden. Es kommt darauf an, eine aufklärende Gegenöffentlichkeit zu schaffen.“ Dieser schöne Satz stand unter einer Aktie, die, allerdings ohne Genehmigung der Aufsichtsbehörden und ohne jede Aussicht auf Dividende, im Herbst 1967 auf den Markt geworfen wurde. Der gleiche Satz schloß eine Resolution ab, die die 22. Delegiertenkonferenz des SDS im September 1967 billigte. Damit war der Startschuß zur Kampagne „Enteignet Springer“ gegeben.

Seltsame Bundesgenossen trafen sich zu diesem so lobenswerten Unterfangen: die Eigentümer des Spiegel und des Stern, die eine Chance witterten, ihren Marktanteil zu erhöhen, kritische Schreiber, die schon lange ihr Herz an eine linke Tageszeitung gehängt hatten und jetzt von der ersteren Gruppe Finanzhilfe erwarteten, DKPler (damals noch nicht legalisiert), die hofften, ihrer Idee von der „antimonopolistischen Demokratie“ ein Lebenslicht einblasen zu können, aufrechte Liberale, denen der Sinn nach Entflechtung und Dekartellisierung stand, die antiautoritäre Linke, für die der Angriff auf die Springerpresse gleichbedeutend mit dem Versuch war, das Netz der Manipulation zu zerreißen, das die Menschen von der Erkenntnis ihrer wahren Bedürfnisse abhielt, und schließlich, aber nicht letztens alle, die einfach mal aus dem Gefängnis der Frustration ausbrechen wollten. Entsprechend vielfältig waren die Aktionsformen.

Die Linken, getreu dem Prinzip Aufklärung und Aktion, versammelten einige ihrer klügsten Köpfe im Springer-Arbeitskreis der „Kritischen Universität“. Dort wurde erarbeitet, daß die Springerpresse den Interessen der abhängigen Massen zum entfremdeten Ausdruck verhelfe, während sie gleichzeitig die kollektive Wahrnehmung dieser Interessen bekämpfe. „Das Problem des Bild-Lesers ist nicht seine Dummheit, sondern seine Ohnmacht.“ Die gelungene Blockade des Konzerns „mit den Leibern“ (wie Dutschke es gut theologisch formulierte) sollte zum Fanal für die Lohnabhängigen einschließlich der im Springer-Konzern Beschäftigten werden, ihre Interessen endlich in die eigenen Hände zu nehmen.

Die Antiautoritären schwärmten im Morgengrauen aus, die frisch gedruckten Anti-Bild-Zeitungen in der Hand, um sich an den Werkstüren das gängige „Geht doch nach dem Osten“ abzuholen. Es war die Hochzeit der Straßentheater mit ihren Axel-Cäsar- Pappmaché-Köpfen, des „Enteignet-Springer“-Nippes, der fliegenden Video-Vorführer. Und es war die hohe Zeit der geheimen Zusammenkünfte, wo stets neue Sabotage-Projekte ersonnen und wieder verworfen wurden. Deren überzeugendstes war der Plan, unter Beihilfe der sonst verachteten Genossen „von drüben“ den Abflußkanal für Springers Fäkalien zuzumauern und so für einen ebenso symbolischen wie realen Rückstau zu sorgen. „Tut mir leid Genossen“, beschied uns der über die Karten des Kanalisationssystems gebeugte, sichtlich engagierte Spezialist, „ist nicht zu verwirklichen“.

Derweil trieben die „realistischen“ Kräfte im Republikanischen Klub und im neu gegründeten Institut für Gegenöffentlichkeit die Vorbereitungen für das Tribunal gegen den Springer-Konzern und das vorgeschaltete Hearing voran. Allein: Die meisten der berühmten Linksliberalen, auf deren Mitwirkung man gezählt hatte, sagten ab. So Jürgen Habermas, der in der Konzeption des Tribunals eine unzulässige Anleihe bei der dritten Gewalt, mithin einen Anschlag auf jene rechtsstaatlichen Prinzipien witterte, die doch gerade den Linken teuer sein müßten. Auch die Geldgeber sprangen ab. Ihre Subsidien reichten gerade hin, den studentischen Aktivisten Lust auf die große, weite Welt des Kapitals zu machen, Nimmermehr waren sie zureichend, eine kontinuierliche „gegenöffentliche“ Arbeit zu finanzieren. Das Hearing, dessen Eröffnung am 9. Februar Tausende Tatendurstiger versammelte, ließ alle Beteiligten ratlos zurück. Geschlagen gingen wir nach Haus und mißachteten selbst die Aufforderung Ulrike Meinhofs, sich, in bitterer Kälte, wenig

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stens zu einem nicht genehmigten Demonstrationszug zu formieren. So stand es um die Springer-Kampagne am Vorabend des Attentats auf Rudi Dutschke.

Keine Stunde ist an jenem Gründonnerstag nach dem Mordanschlag verstrichen, da füllen sich die Räume des SDS-Zentrums am Kurfürstendamm mit entsetzten, verwirrten, tieftraurigen Menschen, darunter vielen, denen sonst ein Besuch im Hauptquartier der Apo nicht im Traum eingefallen wäre. Manche Würdenträger, wie der Wissenschaftssenator Evers, stehen hilflos herum, um irgendeine Hand zu schütteln, Beileid zu bezeugen. Während ich auf einem Fensterbrett sitze und die erste Presseerklärung kritzle, treffen die Mitglieder des SDS-Beirats ein, des Gremiums, das seit Juni 1967 die Basisgruppen und Initiativen des Verbandes koordiniert, dazu die Leute des Republikanischen Klubs und altgediente Veteranen der „Keulen-Riege“ wie Horst Mahler. Ganz im Gegensatz zur üblichen Praxis, wo zur Verzweiflung der abhörenden Verfassungsschützer die Debatte über Aktionsformen sich Stunde um Stunde hinzog, fällt diesmal die Entscheidung binnen weniger Minuten: Die Blockade des Springer- Hochhauses ist die einzig mögliche Antwort auf den Mordanschlag. Denn die Massenblätter des Konzerns hatten seit 1966 nicht nur allgemein die linken Studenten als ganz und gar außerhalb der Gesellschaft stehende Ungeheuer portraitiert, sie hatten sich speziell Rudi Dutschke in einer Art und Weise vorgenommen, für die es keinen anderen Ausdruck gab als: Mordhetze. Auf einem kurzerhand umfunktionierten Teach-in an der Technischen Universität werden vor Tausenden von Anhängern der Apo die Verantwortlichen festgenagelt: „Ich erinnere daran, daß auch Neubauer und Schütz (der damalige „Regierende“ und sein Innensenator) die Verantwortung für einen Mörder tragen, der sich an Rudi herangemacht hat, um ihn niederzuschießen. Und ich spreche ganz deutlich aus: der wirklich Schuldige heißt Springer, die Mörder heißen Neubauer und Schütz“ (Bernd Rabehl). Die Stimmen der SDS-Aktivisten, die den Antrag zur Blockade begründen, die Gruppen einteilen, die technischen Vorbereitungen treffen, klingen hart, sehr entschlossen, fast emotionslos. Die Chancen, daß Rudi Dutschke durchkommt, stehen 50:50.

Nur wenn die Konzentration nachläßt, wenn irgendein Journalist Mikrophon und Kamera für eine Stellungnahme hinhält, kommt die Antwort tränenerstickt. Ein Abgeordneter des Zentralrats der FDJ bietet uns Hilfe an. „Laß gut sein, wir schaffen es alleine.“ Um 21 Uhr 15 setzt sich der Demonstrationszug in Richtung Kochstraße in Bewegung.

Vom Szenario dieser Nacht sind nur Fetzen im Gedächtnis, schnelle Schnittfolgen, wie in den Stummfilmen Sergej Eisensteins. Eine sanfte junge Studentin, sonst nur zu Füßen Klaus Heinrichs zu finden, dem angebeteten Philosophen, ruft mir im Vorbeirennen zu: „Du hast recht, es geht nur mit Gewalt!“ Vor dem Hochhaus ein Steinhagel gegen die Polizeiketten. Gemeinsam mit Götz Schmidt, auch er ein versierter Kenner der Hermeneutik, versuche ich mit einigen Mitstreitern einen Bauwagen durch die Polizeiketten zu schieben, um die gläserne Fassade beim Haupteingang zu rammen. Vergeblich, die Deichsel verhakt sich. Was wir beide nicht wissen: Im Wagen schläft ein „Unbefugter“, der einen Herzanfall erleidet, was später in der Anklageschrift wegen schweren Landfriedensbruchs als Beweis besonderer Brutalität vermerkt werden wird.

Peter Urbach, genannt S-Bahn- Peter, von dem zu diesem Zeitpunkt niemand so genau weiß, ob er nun Spitzel des Berliner Verfassungsschutzes ist oder nicht (er war einer), verteilt Molotowcocktails. Vielen Dank, Verfassungsschutz, ein paar Auslieferungswagen brennen! In der Ausgabe der Peking-Rundschau, die nach Ostern erscheint, wird es poetisch heißen, die Studenten hätten Feuerräder vor sich hergeschoben und der Polizei ein heldenhaftes Gefecht geliefert.

Schließlich wurden die Ordnungskräfte „der Lage Herr“. Die Blockaden, auch die der nachfolgenden Tage in Westdeutschland, waren ohne Erfolg, kein Mensch aus den Springer-Belegschaften solidarisierte sich. Und doch – die Stimmung, die Haltungen, die Urteile – alles war verändert. Auf der Ku'damm-Demonstration am Karfreitag schleppte ein Mensch ein riesiges Holzkreuz mit sich herum und hielt es beschwörend dem Strahl der Wasserwerfer entgegen. Wenige Tage vorher wäre der Erfinder einer derart gigantischen Geschmacklosigkeit mit sanftem Nachdruck aus dem Blickfeld der Kameras entfernt worden – jetzt war alles möglich. Was die linken Studis so sehnlich gewünscht hatten, war auf den Plan getreten: eine Massenbewegung. Nur leider keine proletarische. Beflügelt von der eigenen Courage und von den Bildern des Pariser Mai, schwärmten in jenem Sommer 1968 die Aktivisten der Apo in die Gesellschaft aus. „Metastasenartig“, wie es besorgte Würdenträger formulierten, wucherte der Geist der Revolte, der Verweigerung, der Selbstorganisation.

Aus der Kritischen Universität entwickelten sich die „Roten Zellen“, aus den Stadtteilinitiativen die Bewegung der betrieblichen Basisgruppen. Revolutionäre Schüler und Lehrlingszentren wurden geboren, und die Frauenbewegung – schroff in der Kritik der männlichen „Autoritäten“, aber überraschend loyal gegenüber der sozialistischen Zielsetzung der Linken – trat ihren Siegeszug an. Die Springer-Kampagne wurde ohne viel Aufhebens begraben. Denn jetzt ging es „ums Ganze“.

Warum es dann doch nur um Fragmente ging, ist ein anderes, trauriges, hier nicht zu verhandelndes Kapitel. Fest steht auf alle Fälle, daß die Journalisten, die zu Ende der 70er Jahre die taz gründeten, auf eigenen Voraussetzungen aufbauten und eigene Erfahrungen verarbeiteten – darunter die des Scheiterns der 68er.

Zwischen 1969 und 1979 lag nicht nur die Geschichte von Aufstieg und Fall der „Avantgarde“- Parteien. Zwischen beiden Daten liegt die Umwertung aller Werte, die die Anti-AKW- und die Ökologiebewegung bedeutet. Die taz ist kein Kind der 68er-Bewegung, weder ein legitimes noch ein Bastard. Was verwandtschaftliche Beziehungen nicht ausschließt.

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