■ Unbemerkt baut Armenien sein Territorium aus: Im Schatten des Weltinteresses
Seit Jahren wütet nun schon das Gemetzel in der von Armeniern besiedelten Enklave Nagorny Karabach auf dem Territorium Aserbaidschans. Die Sympathien waren meist mit den christlichen Armeniern, denen die Geschichte seit hundert Jahren übelst mitgespielt hat. Gerade die staatliche Selbständigkeit erlangt, ging es ihnen schon wieder an den Kragen. Doch eigenartig, das Thema verließ die Schlagzeilen, und mit ihm wechselte das Glück der Kombattanten. Zielstrebig baute das kleine Armenien seine Positionen aus. Fast die gesamte Enklave ist in Jerewans Hand – und im Handumdrehen besetzte man gleich noch ein Zehntel der Fläche Aserbaidschans. Der letzte Vorstoß zielte auf Fisuli, im aserbaidschanischen Kernland, auf dem Weg zur iranischen Grenze. Woher diese Schlagkraft Jerewans, das nicht einmal genügend Energie erhält, um seine Bewohner mit dem Allernotwendigsten zu versorgen?
Sicherlich liegt es an der Schwäche des Gegners. Die innenpolitischen Fronten Bakus sind heillos verworren. Selbst der Nationalismus schweißt nichts zusammen. Die Armee, so heißt es in Baku, sei eine Gruppe von hoffnungslosen Einzelkämpfern, die man in Uniformen gesteckt hat. Und dann hilft den Aseris Rußland nicht mehr, wie noch zu Zeiten der UdSSR. Aserbaidschan trat dem Verteidigungsbündnis der GUS nicht bei, Armenien sehr wohl. Offiziell übte Rußland Neutralität. Jelzin initiierte einige Vermittlungsbemühungen, freilich ohne Erfolg. Kein Zweifel, die abgesegnete Außenpolitik Rußlands in der Region war auf friedliche Konfliktlösung angelegt und schien ohne hegemonistische Hintergedanken.
Dennoch näherte sich Moskau in letzter Zeit einem der Anwärter auf die Rolle der regionalen Vormacht, dem Iran, an. Waffenkäufe in Rußland stehen auf der Tagesordnung. Mit gleichermaßen Mißtrauen verfolgen beide den Vormarsch der Türkei in dieser Region. Moskau fehlt es hingegen an einer militärischen Doktrin. Fast zwei Jahre nach dem Zusammenbruch des Imperiums ist man sich dort immer noch nicht einig, welche Rolle man eigentlich anstrebt. Die alten Militärs des Generalstabs können sich von ihrer globalen Strategie nicht lösen. Sie denken nach wie vor in Dimensionen eines größt denkbaren Konfliktes. Nur logisch: Dieses Denkmuster sieht andererseits keine friedenschaffende Potenz der Armee vor. Man mag sich im stillen sogar ins Fäustchen lachen, daß sich die Abtrünnigen jetzt selbst abschlachten. Die Ungereimtheiten der Politik räumen den mittleren Rängen, weitab vom Zentrum, eine Menge an unkontrollierbarem Spielraum ein. So könnte es sein. Jedenfalls bleibt die armenische fortuna belli ein fast unlösbares Rätsel. Nur Radio Jerewan könnte es lüften... Klaus-Helge Donath
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