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Neues Unheil schwebt über Andreottis Haupt

■ Mafia-Aussteiger berichten von Treffen des DC-Gewaltigen mit Bossen

Rom (taz) – Der Enthüllungsdrang italienischer Ermittler ist ungebrochen. Nach den Verfahren gegen nahezu alle bisherigen Parteichefs der Regierungskoalition und zahlreichen Top-Managern steht nun der Mann im Vordergrund staatsanwaltschaftlichen Bemühens, der wie kein zweiter als Symbol der Unantastbarkeit des seit Kriegsende herrschenden Systems galt: Giulio Andreotti, 73, siebenmal Ministerpräsident, 33mal Minister, 27mal Gegenstand von Untersuchungsausschüssen, die er stets unbeschadet überstand.

Diesmal aber wollen die Untersuchungsrichter ernst machen, zumal die Wahlen vom Vorjahr einen breiten Unwillen des Volkes gegen das bisherige Macht-Establishment deutlich gemacht haben. So erging schon vor zwei Wochen gegen Andreotti ein erster Ermittlungsbescheid – nicht, wie in den meisten anderen Fällen, wegen Verstoßes gegen das Parteienfinanzierungsgesetz, Korruption, Erpressung oder Hehlerei, sondern wegen Bildung einer mafiosen Vereinigung.

Den Grund zur Anklage bezogen die Staatsanwälte Palermos aus den Einlassungen von Mafia- Aussteigern, die in Andreotti den römischen Schutzpatron der „Ehrenwerten Gesellschaft“ angeben, vorwiegend aktiviert durch seinen (im Februar 1992 ermordeten) sizilianischen Statthalter Salvo Lima. So soll Andreotti durch Druck auf Kassationsrichter (vergleichbar unseren Bundesrichtern) Urteile gegen Mafiosi annullieren haben lassen. Doch das wirkliche Ungemach kommt aus den USA: dorthin waren letzte Woche die palermitanischen Ermittler geflogen, um erneut die ersten großen Mafia-Dissidenten Tommaso Buscetta und Marino Manoia zu verhören. Die beiden hatten zwar Mitte der 80er Jahre einen Maxi- Prozeß gegen insgesamt 704 Angeklagte ausgelöst, sich aber beharrlich geweigert, über die Verbindung von Mafiosi und Politikern zu berichten: „Die Irritationen im System wären so schwerwiegend, daß uns niemand glauben würde“, so Buscetta noch 1990 zum mittlerweile ermordeten Untersuchungsführer Giovanni Falcone. Inzwischen scheinen die in den USA unter dem Schutz des FBI stehenden Aussteiger umzudenken und packen weiter aus. So behaupten die Kronzeugen, Andreotti habe nicht nur über Politiker seines Parteiflügels und nach Rom entsandte Mafia-Höflinge als Schutzherr der Cosa nostra fungiert, sondern sich persönlich mit höchsten Bossen getroffen, so etwa mit dem (1981 ermordeten) seinerzeitigen Oberhaupt der palermitanischen Cosa nostra, Stefano Bontade. Auch über Hintergründe der Entführung und Ermordung des christdemokratischen Parteipräsidenten Aldo Moro 1978 behaupten die Ex-Mafiosi Brisantes zu wissen: Andreotti selbst soll das Projekt einiger Mafiosi zur Befreiung seines parteiniternen Gegenspielers aus dem „Volksgefängnis“ der Roten Brigaden verhindert haben. Der darüber recherchierende Journalist Mino Pecorelli sei ein Jahr danach deshalb ermordet worden.

Andreotti erklärt alle Anschuldigungen für schlichtweg absurd. Schließlich habe sein sizilianischer Statthalter Lima Dutzende Male vor Untersuchungsausschüssen gestanden, nie habe jemals ein Beweis gegen ihn erbracht werden können, selbst Mafia-Oberermittler Falcone habe Verfahren gegen ihn eingestellt. Daß man ihm Schmiergeldforderungen für Sozialdemokraten anlaste, bringe ihn allenfalls zum Lachen, und die Ermordung Moros sei nicht einer Ränke wegen, sondern aufgrund der zwischen Christdemokraten und Kommunisten seinerzeit vereinbarten Linie der Ablehnung jeglicher Verhandlungen mit den Roten Brigaden geschehen.

Heute soll Andreotti vor dem Immunitätsausschuß des Senats, der einer formellen Durchführung des Strafverfahrens zustimmen muß, seine Gegenvorstellungen erheben. Werner Raith

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