: Japanische Verbeugung vor Jelzin
Regierung will Rußland jetzt unabhängig von einer Lösung des Territorialkonflikts um die Südkurilen-Inseln unterstützen / 1,8 Milliarden Dollar neuer Hilfe zugesagt ■ Aus Tokio Georg Blume
Die Kehrtwende der japanischen Rußlandpolitik ist perfekt. Gestern kündigte der neue japanische Außenminister Kabun Muto das alte Junktim der bisherigen Tokioter Außenpolitik auf, nach dem jede Hilfszahlung für Rußland mit der Lösung des Territorialkonfikts um die Südkurileninseln einhergehen mußte. Gleichzeitig gaben japanische Diplomaten inoffiziell bekannt, daß Premierminister Kiichi Miyazawa bei der heutigen Eröffnung der G-7- Tagung der Außen- und Finanzminister in Tokio ein bilaterales Hilfspaket für Rußland in der Höhe von 1,8 Milliarden Dollar verkünden wird.
Die japanischen Zusagen haben die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht, daß die sieben reichsten Industrieländer (G-7; USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada) ihre Rußlandhilfe tatsächlich koordiniert bekommen. Klar wie nie zuvor stellte sich die japanische Regierung gestern hinter die Reformpolitik von Boris Jelzin. „Es ist selbstverständlich, Jelzin zu unterstützen“, sagte Außenminister Kabun Muto. „Falls die Reformlinie in Rußland scheitert, wäre das kein Gewinn für den Weltfrieden.“ Diesen Risiken will Japan in Zukunft auch seine Ansprüche auf die vier Fischerinseln der Kurilengruppe nördlich Hokkaidos unterordnen. Schon mit Gorbatschow hatten japanische Spitzenpolitiker nächtelang über die Rückgabe der 1945 von Stalin annektierten Inseln verhandelt – immer ohne Erfolg. Sowohl in Rußland wie in Japan pochten nationalistische Strömungen auf den Erhalt aller Gebietsansprüche.
Erst jetzt kommt die Politik wieder zum Zuge: „Es ist ausgeschlossen, daß wir uns der Unterstützung Rußlands entziehen, weil es Territorialprobleme gibt“, sagte Außenminister Muto. Damit beendete er 48 Jahre konfrontativer japanischer Rußlandpolitik. Wenig später bestätigte Regierungssprecher Yohei Kono die neue Linie: „Das Kurilenproblem und die Rußlandhilfe sind zwei unterschiedliche Sachen“, sagte Kono.
Gesagt, bezahlt. Schon heute will Japan seine neue Rußland-Politik mit einem Hilfsprogramm von 1,8 Milliarden Dollar untermauern. Japans Bürokraten ließen sich nicht lumpen, die von Präsident Clinton vor zehn Tagen in Vancouver in Aussicht gestellte Rußlandhilfe um 200 Millionen Dollar zu überbieten. Allerdings gibt es verschiedene Berechnungen, wer nun in diesem Jahr am meisten für Jelzins Schicksal zu bezahlen gedenkt. Rechnet man amerikanische Kreditbürgschaften über zwei Milliarden Dollar noch hinzu, läge Washinton wieder vorn. Aber auch Tokio hat noch weitere, bereits in den Jahren zuvor versprochene Wirtschaftshilfe in der Höhe von 1,5 bis zwei Milliarden Dollar in der Schublade.
Wichtig ist vor allem, daß sowohl Japan wie die USA das Geld nicht mehr zurückhalten wollen. In diesem Sinne stellt die japanische Regierung 320 Millionen Dollar für sofortige humanitäre Hilfe und die Unterstützung von Kleinbetrieben zur Verfügung. Weiteres Geld will Tokio für die Entsorgung von Atommüll im Japanischen Meer ausgeben. Bis Ende 1991 hatte die Rote Armee regelmäßig Atommüll 700 Kilometer von der japanischen Küste entfernt versenkt – für Premierminister Miyazawa „eine unverzeihliche Tat“.
Probleme wird es also auch nach dem Griff in die Spendierbüchse zwischen Japan und Rußland genug geben. Die japanische Regierung rückt von ihren Territorialforderungen an Rußland nicht ab. Außenminister Muto sagte, daß sein Land von Rußland die Anerkennung der Souveränitätsrechte über alle Inseln verlange. Erst dann könne man über den Modus vivendi der heute von Russen bevölkerten Südkurilen verhandeln.
Und ob die japanische Geste allerdings tatsächlich das Verhältnis zu Rußland grundlegend ändern wird, muß sich noch zeigen: Das überraschende Angebot des russischen Präsidenten Boris Jelzin, noch im Mai, vor dem Tokioter Weltwirtschaftsgipfel, nach Japan zu kommen, stieß jedenfalls gestern in Tokio auf widersprüchliche Ansichten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen