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In Moskau beginnt heute der Prozeß gegen die Putschisten vom August 1991. Die Verteidigung pocht darauf, daß ein Staatsstreich in einem Land, das es nicht mehr gibt, gerichtlich gar nicht geahndet werden kann. Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Zwischen Freispruch und Todesstrafe

Dürfte das Volk entscheiden, die Augustputschisten könnten mit biblischer Gnade rechnen. Nur 41 Prozent der Bevölkerung wollten in einer Umfrage die Drahtzieher des Coups gegen Michail Gorbatschow vor Gericht sehen, 33 Prozent plädierten gar für eine Amnestie, ein Hundertstel verlangte die Todesstrafe. Rußlands Gesetzgeber hatten noch im letzten Jahr davor zurückgeschreckt, die Todesstrafe aus dem Gesetz zu tilgen – aus Angst, das Volk könnte diesen Schritt in Richtung Humanität falsch verstehen.

Die Vorbereitungen zum heutigen Prozeßbeginn verliefen ruhig. Das Medienspektakel blieb bislang aus, zugelassen zur Verhandlung werden ohnehin nur die heimischen Medien. Wenn Anatoli Lukjanow, Gennadi Janajew und weitere zehn Mitangeklagte des „staatlichen Notstandskomitees“ den Gerichtssaal betreten, können sie noch guter Dinge sein. Denn für sie ist eigentlich alles drin. Vielleicht kein Freispruch, aber wohl ein relativ geringes Strafmaß. Die Beweismaterialien, die Generalstaatsanwalt Walentin Stepankow und sein Stellvertreter Jewgeni Lisow zusammengetragen haben, reichen allerdings aus, um den Angeklagten ihre Beteiligung am Staatsstreich nachzuweisen.

Doch die Verteidigung fährt einen anderen Kurs. Sie gibt vor, eine Verurteilung der Rädelsführer sei nicht rechtens. Ein Staatsstreich in einem Land, der UdSSR, das nicht mehr bestehe, könne man gerichtlich nicht ahnden. Ähnlich simpel und zunächst einmal plausibel fällt auch ihre weitere Argumentation aus. Zwar ließe sich die Festsetzung des damaligen Präsidenten Gorbatschow auf der Regierungsdatscha im ukrainischen Foros strafrechtlich zum Hauptanklagepunkt machen: Anwendung von Gewalt gegen Personen. So etwas sieht das Strafgesetzbuch natürlich vor. Aber im Falle Gorbatschwows dürften dann nicht russische Behörden ermitteln und Recht sprechen. Schließlich sei die Ukraine ja mittlerweile ein unabhängiger Staat. In die Ermittlungen hat man die Ukraine aber nicht mit herangezogen.

Ob diese Volten und Winkelzüge das Gericht beeindrucken, steht dahin. Der Prozeß wird auf jeden Fall ziemlich lange dauern. Michail Gorbatschow, der sich noch mit Händen und Füßen im Prozeß gegen die KPdSU gewehrt hatte, als Zeuge auszusagen, wird nun vor Gericht erscheinen. Er kommt auch nicht drumherum, will er sein Ansehen waren. Denn nach wie vor halten die Putschisten ihre Version aufrecht, nach der Gorbatschow über die Aktivitäten der Verschwörer bestens im Bilde gewesen sein soll. Einen Rückzieher habe er erst gemacht, als das Scheitern abzusehen war. Wirklich beweiskräftiges Material für diese Variante wurde bisher aber noch nicht geliefert. Man darf gespannt sein. Denn immerhin war es der Präsident und Generalsekretär persönlich, der die Putschisten handverlesen zu seinen engsten Vertrauten erkoren hatte.

Die Riege der reaktionären Opposition in Rußland wird versuchen, den Prozeß in eine rein politische Racheaktion umzumünzen. Die letzten Monate nutzte sie schon, um die Angeklagten zu Märtyrern des Vaterlandes zu stilisieren. Kein anderer als Vizepräsident Alexander Ruzkoi, Jelzins Widersacher, plädierte vor mehr als einem Jahr für eine Amnestie. Bisher hat er es nicht wiederholt. Doch das anstehende Referendum, in dem es um die Zukunft nicht nur des Präsidenten Jelzin, vielmehr um das Schicksal der konservativen Legislative geht, legt eins nahe: Bis zum Stichtag wird die Opposition den Prozeß zu ihrer Bühne machen. Gewinnt Jelzin die Vertrauensabstimmung, womit zu rechnen ist, verliert der Prozeß allerdings seine politische Brisanz. Dann ist er eigentlich nur noch für Historiker interessant.

Allerdings ist der Prozeßbeginn von Anfang an von einer Auseinandersetzung überschattet. Zwar wird er nicht ausschlaggebend sein, die Atmosphäre dürfte er aber mit vergiften: Es ist der Streit um Valentin Stepankow, den Generalstaatsanwalt, der die Untersuchungen geleitet hat. Wie viele Bürokraten in Rußland, egal auf welcher Seite sie stehen, zog es ihn zum schnellen Geld. Die Untersuchungsberichte verkaufte er an den Bertelsmann Verlag, bevor die Verhandlung überhaupt begonnen hat. Zu recht gibt die Verteidigung zu bedenken, daß der Hauptankläger damit gegen geltendes Recht verstoßen habe; die Veröffentlichung komme einer Vorverurteilung gleich. Nach rechtsstaatlichen Maßstäben muß man der Verteidigung zwar ohne Einschränkungen zustimmen. Doch Rußland ist eben noch kein Rechtsstaat.

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