: Die Wege der Welt Von Thomas Pampuch
„Verkehr muß sein“, so lernt es jeder Student der Städteplanung im ersten Semester. Und die Studenten der verschiedenen Ingenieurwissenschaften, des Maschinen- und Flugzeugbaus, der Soziologie und wohl auch der Theologie mit heißem Bemühen ebenfalls. Bei den Historikern allerdings ist der Verkehr bis heute weitgehend eine Domäne der spezielleren Technikgeschichte geblieben. Nur langsam setzt sich die Erkenntnis durch, daß das Thema Mobilität in seiner Fluch- und-Segen-Dialektik auch ein entscheidender Bestandteil der Kultur- und Sozialgeschichte ist. Die ökologischen Auswirkungen des aberwitzigen Herumrasens von Milliarden von Menschen und Gütern machen das Thema jedoch rasend aktuell. Aus dem Lande des „On the Road“-Propheten Jack Kerouac erreicht uns jetzt ein dickes Buch, das die Geschichte der „Ways of the World“ und der Fahrzeuge, die sie benutzten, grundsätzlich angeht. Der Autor, ein Bauingenieur und Straßenbauer, untersucht darin vom ersten Trampelpfad aus dem Paradies bis zum Highway 61, wie und warum sich die Straßen der Welt entwickelt haben. Das mag sich erst mal etwas dröge anhören, aber wer sich auf die Frage einläßt, wird erkennen, daß der Ansatz, die Menschheitsgeschichte unter Mobilitätsgesichtspunkten zu betrachten, durchaus reizvoll und lehrreich ist. Techniken wie das Joch, die Deichsel, die Felge, Straßenanlagen, Kammwege, Furten, die milesische (Schachbrett-)Planung oder Asphaltierung haben das Leben über die Jahrtausende vermutlich mehr und nachhaltiger beeinflußt und verändert als die Ränke irgendwelcher Kaiser, Generäle, Pfaffen und Präsidenten. Es lohnt nicht nur zu fragen, wo wir herkommen, es lohnt auch zu fragen, wie und auf welchen Wegen.
Eine Erkenntnis dabei aber haut einen, wenn man sie sich so richtig klarmacht, regelrecht um. Es ist die Entwicklung oder genauer die Nichtentwicklung der Geschwindigkeit. Denn in der ganzen Geschichte gab es bis zur Erfindung der Dampfmaschine nur eine wesentliche Erhöhung der Transport- und Reisegeschwindigkeit: etwa um 1700 v. Chr., als die Barbaren (!) anfingen, leichte militärische Streitwagen mit zwei Pferden an einer Deichsel zu benutzen und damit die Reiche des Mittleren und Nahen Ostens anzugreifen. Der Sprung von 4 km/h im Ochsenkarren und 6 km/h zu Fuß auf 30 km/h sollte für dreieinhalbtausend Jahre der letzte und einzige bleiben. Erst im 19. Jahrhundert haben wir so richtig losgelegt, und seitdem vergeht kein Jahr ohne neue Rekorde. So rasen wir in die ICE-Zeit, obwohl uns, ganz ehrlich, schon schwindlig wird, wenn wir Charlton Heston beim Wagenrennen nur zuschauen. „Wir werfen weiter, als wir sehen können“, hat Günther Anders so schön gesagt. Wir rasen auch schneller, als wir schauen können. Vielleicht hilft es, wenn wir wenigstens ab und zu mal zurückschauen. Da kommen wir zwar nicht mehr hin, aber unter Umständen erkennen wir dann etwas besser, wo wir hinkommen, wenn wir so weitermachen. Und hören auf, so zu handeln, wie es Mark Twain beschrieben hat: „Irgendwann wußten sie nicht mehr, wo es hinging. Da verdoppelten sie ihre Anstrengungen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen