: Recherchen im Geheimdienst-Milieu
■ Prozeß um Journalisten, Nachrichtenhändler und MfS-Offiziere: Dem Journalisten Benedikt Mülder wird vorgeworfen, einen Stasi-Offizier genötigt zu haben / Verteidigung hält das für einen Slapstick
Moabit. Um die Grauzonen journalistischer Recherche-Praktiken und dunkle Machenschaften des MfS geht es seit gestern in einem Prozeß vor einer einfachen Buchstabenabteilung des Moabiter Schöffengerichts. Angeklagt sind der 37jährige Journalist Benedikt Mülder und der 66jährige Rentner und sogenannte Nachrichtenhändler Jürgen Perduss. Der Staatsanwalt wirft den beiden vor, bei zwei Treffen versucht zu haben, im Juli 1990 einen ehemaligen stellvertretenden Referatsleiter des MFS zur Herausgabe von Stasi-Interna zu nötigen. Für den Fall, daß der ehemalige Führungsoffizier J. nicht vorbehaltslos mit ihnen zusammenarbeite, soll Mülder diesem gedroht haben: „Wir lassen Sie platzen, dann nimmt keiner mehr ein Stück Brot von Ihnen.“ Perduss soll durchblicken lassen haben, daß der Offizier seine berufliche und soziale Existenz „vergessen“ könne.
Der 66jährige Perduss hat in seinem Leben verschiedensten Geheimdiensten gedient. Im Zweiten Weltkrieg war es der CIA, später der KGB. Nach seiner Übersiedlung im März 1984 in den Westen hatte er erneut versucht, bei den Alliierten anzuheuern, doch diese ließen ihn diesmal abblitzen. Auch der Versuch, nach der Wende Staatssekretär von Lothar de Maizière zu werden, mißlang. Seither recherchiert der Geheimdienstkenner Perduss zum Thema Stasi und beliefert Fernsehsender und Nachrichtenmagazine mit Informationen. Der 37jährige Benedikt Mülder begann seine journalistische Laufbahn bei der taz. Seit Mitte der 80er Jahre arbeitet er als freier Fernsehjournalist.
Am 22. und 24. Juli 1990 sollen Perduss und Mülder erst im Hotel Berolina und dann im Hotel Unter den Linden in Mitte den ehemaligen Führungsoffizier der Stasi J. mit einer Namensliste Informeller Mitarbeiter (IM's) konfrontiert haben. J. war früher stellvertretender Referatsleiter der Hauptabteilung VIII/113 und damit für die Objekt- und Personenaufklärung im Ausland und der BRD zuständig. Dem Ansinnen der beiden Rechercheure, mit ihnen zusammenzuarbeiten, verweigerte sich J. laut Staatsanwaltschaft jedoch und schaltete die damals noch zuständige DDR-Kripo ein. Der Anklage gegen Perduss und Mülder ist deshalb auch noch DDR-Recht zugrunde gelegt.
Der Prozeß war gestern jedoch nur von kurzer Dauer. Mülder hatte gerade angehoben, daß ihm seinerzeit bei Recherchen für das ZDF eine Stasi-Namensliste in die Hände gefallen sei, als er von der Vorsitzenden Richterin unterbrochen wurde. Das Verfahren müsse ausgesetzt werden, weil ein für die Liste wichtiger Zeuge nicht gekommen sei. Bevor der Prozeß auf unbestimmte Zeit unterbrochen wurde, beantragte Perduss' Anwalt Andreas Schulz, zum nächsten Termin Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfasssungschutz als Zeugen zu laden. Die Anklage sei eine „Slapstick-Klamotte aus der Welt der Geheimdienste“. Die Angeklagten seien nicht Täter, sondern Opfer, befand Schulz. plu
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