■ Querspalte: Die Stadt am Abgrund: Das Leid der Kofferkulis
Der Lack der Zivilisation ist dünn, und überall lauert unversehens das Verbrechen. Wie sehr die scheinbar festgefügte Zivilisation am Abgrund wandelt und die brutale Kralle der Kriminalität die Gesellschaft im Würgegriff hält, daran erinnert uns von Zeit zu Zeit der Landespressedienst des Senats mit seinen Antworten auf die kleinen Anfragen der Volksvertreterinnen. „Kann man davon ausgehen, daß ein Pfand von einer Mark einen notorischen Kofferkulidieb davon abhalten wird, sich eines derartigen Gefährts zu bemächtigen, um damit ein schändliches Geschäft zu betreiben?“ begehrt die SPD-Abgeordnete Käthe Zillbach von Verkehrssenator Haase zu wissen. Wir ahnen es: natürlich nicht. Die Zahlen sprechen für sich. Am Bahnhof Zoologischer Garten waren nach lediglich zehn Monaten Einsatzzeit von 65 Kofferkulis sage und schreibe 55 verschwunden. Auch am Hauptbahnhof waren nach zehn Monaten zwei Drittel aller Transporthilfen perdu; am Bahnhof Lichtenberg verschwanden von 90 Stück immerhin 58. Auf den Flughäfen sieht es nicht besser aus: jährlich werden in Tegel und in Schönefeld bis zu 100 Kofferkulis geklaut. Und: Der Senat steht diesem erbarmungslosen Feldzug der Finstermänner gegen die unschuldigen Kofferkulis hilflos gegenüber. „Die Pfandmünze ist sicher kein geeignetes Mittel, um einen potentiellen Gepäckkarrendieb von einem Diebstahl abzuhalten“, muß der Verkehrssenator kleinlaut zugeben. Weh uns, alles ist verloren. Schlimmer noch; wie Hohn treffen uns des Senators Worte: „Die Ausrüstung der Kofferkulis mit Münzboxen wurde nicht nur wegen des Diebstahls durchgeführt, sondern vielmehr auch um Ordnung und Sicherheit bei der Abstellung der Kofferkulis auf den Bahnsteigen, Bahnhofshallen und Flughäfen zu gewährleisten.“ Gerd Nowakowski
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