: Undurchsichtig grinsender Onkel
Das kleine Berliner Off-Kino „Eiszeit“ zeigt die bisher größte William Castle-Retrospektive ■ Von Detlef Kuhlbrodt
Für John Waters war William Castle ein Idol. „Der König der Gimmicks“, der in den fünfziger und sechziger Jahren mit seltsamen Schockeffekten brillierte, „hat in mir den Wunsch wachgerufen, Filme zu machen. Ich bin regelrecht eifersüchtig auf seine Arbeit. Tatsächlich, ich wünschte, ich wäre William Castle. (...) Ist es nicht höchste Zeit für eine Castle- Retrospektive?“ Water's Wunsch war den Genossen vom Berliner „Eiszeit-Kino“ eine Herzensverpflichtung. Noch bis zum 30. April zeigen sie in ihrem kleinen Off- Kino die bis dato größte deutsche William-Castle-Retrospektive.
Die Geschichte von Castle, der 1914 als William Schloß geboren wurde, liest sich wie die Erfolgsstory eines schüchternen, ungeliebten Neffen, der es schlußendlich zum reichen, wenngleich recht zwielichtigen amerikanischen Onkel bringt. Als kleiner Junge wurde Castle stets gehänselt. Das änderte sich erst, als er mit verrückten Aktionen seine Spielkameraden zu unterhalten begann. Als „Spider Boy“ im schwarzen Kostüm verschränkte er seine Beine hinter dem Kopf. Später gelüstete es ihn, den Hudson River zu durchschwimmen – beinah wäre er dabei ertrunken. In der Hauptverkehrszeit stellte sich der junge William auf ein U-Bahn-Gleis und verkündete seinem Publikum, nun sei es für Spider an der Zeit zu sterben.
Nachdem sich der 13jährige Pubertand zwölfmal das Theaterstück „Dracula“ mit Bela Lugosi in der Hauptrolle angesehen hatte, schlich er hochstaplerisch als angeblicher Freund Lugosis hinter die Bühne und stand dem Meister persönlich gegenüber. Mit fünfzehn wurde ihm auf Vermittlung Lugosis eine Bühnenassistenz im Draculastück angeboten. Er brach die Schule ab und ging mit dem Stück auf Tournee. Ein wenig widmete er sich nun der Schauspielerei, schlug sich als Darsteller von Hollywoodstars durch (was ziemlich genau schon auf sein späteres Schaffen deutete – ein Regisseur, der die Hollywoodillusion „fakte“), hochstapelte sich an Orson Welles heran und übernahm dessen Theater einen Sommer lang.
Sein in zwei Tagen geschriebenes Debütstück „Das ist nicht für Kinder“ war ein raffiniert eingefädelter Erfolg. Als er ein paar Wochen vor der Uraufführung noch keine einzige Eintrittskarte verkauft worden war, inszenierte Castle kurzentschlossen einen Fake: im Namen seiner deutschen Hauptdarstellerin, die von den Nazis zu einem Theaterfestival eingeladen worden war, schrieb er ein wutschnaubendes Telegramm an Adolf Hitler: „Ihre Einladung lehnt Ellen Schwannecke ab. (...) Sie möchte weder mit Ihnen noch Ihrer Politik etwas zu tun haben. Sie wird nicht nach Deutschland zurückkehren, solange Sie an der Macht sind. PS: Sie arbeitet nun für mich!“ Castle gab das Telegramm an die Presse weiter, inszenierte Drohbriefe und einen angeblichen Naziüberfall auf das Theater. Die selbstverständlich ausverkaufte Premiere fand unter Polizeischutz statt.
Ab 1939 widmete sich der extrem fleißige Castle dem Filmschaffen. Zwischen 1939 und 1958 führte er allein in 43 B-Western, Krimis und Abenteuerfilmen Regie. Zwar arbeitete er zuweilen durchaus schon mit spektakulären Effekten („Jesse James vs. the Daltons“ von 1953 ist in 3-D gedreht), sein eigentlicher Ruhm als „König der Gimmicks“ setzte allerdings erst 1958 mit dem Suspense-Film „Macabre“ ein.
In seinem in neun Tagen abgedrehten und von Clouzots „Die Teuflischen“ inspirierten Horrofilmdebüt geht es um die Frage, wie man jemanden zu Tode erschreckt. Aus heutiger Sicht ist der Film zwar durchaus amüsant, doch Castle war nach der Fertigstellung eher enttäuscht. Da kam ihm wieder eine rettende Werbeidee, der Regisseur versicherte alle potentiellen Zuschauer des Films bei Lloyds gegen den Angsttod, den sie während des Anschauens erleiden könnten. Nach langwierigen Verhandlungen ging Lloyds von fünf Besuchern aus, die beim Zuschauen sterben könnten, die Versicherungspolice betrug 5.000 US- Dollar. Von Zuschauern, die sich tatsächlich zu Tode erschreckten, ist im Gegensatz zu Coppola's „Dracula“ allerdings nichts bekannt.
Gegen die in den 50er Jahren immer bedrohlichere Konkurrenz des Fernsehens setzte William Castle die sinnliche Intimität eines Kinos, das sich eher am Jahrmarkt als an der Flimmerkiste orientierte. Seine Special effects sind legendär: in „Tingler“ beginnen die Stühle zu wackeln, sein Meisterwerk „Homicidal“ enthält eine „Fright Break“, in der allzu ängstliche Zuschauer den Saal verlassen dürfen, um in einer „Cowards Corner“ ihr Geld zurückzubekommen; in „House on the haunted Hill“ schwebt plötzlich ein Skelett durchs Kino, Krankenschwestern stehen fürsorglich-dezent im Kinosaal, und vor der Tür wartet ein Leichenwagen. In „Mr. Sardonicus“ schließlich können die Zuschauer in einer Pause selbst über das Ende des Mörderhelden abstimmen: in einer Filmrolle steckt ein HappyEnd, in der anderen die gerechte Strafe. Einige dieser Effekte sollen nun auch im Eiszeit für gute Laune sorgen.
Die Filme des zwielichtigen Regisseurs, auf dessen Schoß zu träumen der junge Waters sich wünschte, erschöpfen sich jedoch nicht nur in raffinierten Gimmicks, sie spielen auch auf begeisternd naive Weise mit psychoanalytischem Trash. In „Homicidal“ zum Beispiel, einer sehr spannenden Variation des „Psycho“-Themas, geht es kindlich-sadistisch, serienmordmäßig und tabubrecherisch um Geschwisterrivalitäten, Inzest und Geschlechtsidentitäten. Der Regisseur bedrohte übrigens jeden Zuschauer mit dem Tod, der seinen Freunden das überraschende Ende verraten sollte – weswegen sich auch hier der Autor nobel zurückhält.
„The Tingler“ ist ein Mad- Scientist-Vorläufer seltsamer Horrortripfilme mit einem komisch- ekligen Monster. Wie etwa der Blinddarm ist der „Tingler“ eher feindselig gegenüber seinem Wirt eingestellt. Im allgemeinen ist er unscheinbar, wenn man jedoch große Angst hat, wächst er stolz und wird sehr böse, nur ganz lautes Schreien läßt ihn wieder ins schüchtern Unbeholfene schrumpfen. Vincent Price als gerichtsmedizinender ehrgeiziger Angstforscher sucht die Existenz des Tingler zu beweisen. Nachdem diverse Fremd- und Drogenselbstversuche nicht weiterhelfen, kann er die materialisierte Angst aus einer am Schrecktod gestorbenen Kinobesitzerin, die zu ihrem Unglück taubstumm war, befreien. Als sprechende Mischung zwischen Kot, Phallus und Wirbelsäule terrorisiert der Tingler seine Umwelt und findet seinen Weg bis ins genreprägende Finale („Im Augenblick der Angst“, „Dämonen“ etc.) im Kinosaal. „Straight Jacket“ führt eine zwischen Trauma und Hysterie torkelnde Axtmörderin in die Filmgeschichte ein. Der Regisseur, so weiß es die Legende, hatte alle Premierebesucher nach dem Film übrigens zu einem Hamburgeressen eingeladen.
Häufig tauchte Castle, der 1968 noch einmal als Produzent von „Rosemary's Baby“ Furore machte, zu Beginn seiner Filme oder in Trailern selbst auf – ein wuchtiger, warnender, undurchsichtiger, sardonisch grinsender Onkel, der stolz darauf hinweist, daß Straight Jacket viel mehr „shocks per minute“ enthalte als der Vorgängerfilm. Seinen vielleicht schönsten, dekonstruktivistischen Titel – „Let's kill Uncle“ – zeigt die Retro des „Eiszeit“ leider nicht, obgleich er eine der schönsten Übertrumpfungsszenen der Filmgeschichte enthält: „Your uncle ist trying to kill you“, sagt der Neffe zu seiner Nichte. Naseweis antwortet sie: „Let's kill uncle first!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen