Sanssouci: Vorschlag
■ „Schadenfreude“ – eine Rauminstallation von Melissa Gould
Zwischen Modernisierung und Denkmalschutz dienen August- und Tucholskystraße als Gedächtnisspeicher für Touristen. Diesem genügsam melancholischen Blick setzt Melissa Gould in der Dependance der Galerie Wohnmaschine jene Erinnerungsstücke der Geschichte entgegen, die jenseits aller Bewältigung in Vergessenheit gerieten: scheinbar unschuldige Alltagszeichen des Dritten Reiches, mit deren Kombination Melissa Gould den unterschwelligen Antisemitismus entlarvt.
Aus Illustrationen eines Brockhaus-Bandes von 1935 hat die in Amerika lebende jüdische Künstlerin sieben Tapetenmuster für einen „Nazi Wallpaper Store“ zusammengestellt, denen das Schicksal der Juden im Dritten Reich als allegorischer Rebus eingeschrieben ist. Die im Schauraum feilgebotenen Entwürfe von Gould spielen dabei mit der möglichen Identifikation der Täter mit ihren Opfern. Auf der einen Seite überdeutliche Stigmata, werden die brandmarkenden Zeichen als Wanddekoration zum Ornament, das sich beim Betrachten plötzlich erschließt: „Lampenschirme und Seife“ wechseln sich ab, „Faust/ Fackel/ Feuer“ fügen sich zu einem aktuellen Reigen, und bei „Hanslgretl“ korrespondieren Fingerknöchel mit dem Märchen-Ofen.
Die illustrierenden Gegenstandsbilder verknüpfen sich zu Metaphern vom Holocaust. Um die Fußleisten kreist ein Fries, auf dem eine zarte Kinderhand mit sorgfältigem Bleistiftstrich im Begriff ist, das Klischeebild von der jüdischen Hakennase zu zeichnen. Die Arabeske ist in Bodennähe geklebt, um den einstmals rassenideologischen Vergleich des Juden mit niederen Tieren auf den Raum zu übertragen. Die Ausstellung „Schadenfreude“ spürt schon im Titel einem, in seiner Paradoxie typisch deutschen, unübersetzbaren Begriff nach. Es ist die Freude über den Schaden eines anderen, mithin eine rätselhafte Verflechtung von Opfer und Täter. Gould datiert dieses Verhältnis in die Zeit zwischen Gleichschaltung und Endlösung zurück. Auf einem grobgerasterten Foto sieht man als „Ersatz-Souvenir“ eine Scheuerbürste mit der Inschrift „Wien 1938“, im hinteren Raum befindet sich dazu passend eine Fotografie von zwei überdimensionalen Zahnbürsten mit der Gravur „Sarah“ und „Israel“. Sie wollen an die Ereignisse nach dem Anschluß Österreichs erinnern, als die Juden unter Aufsicht der SS mit ihren Zahnbürsten die Straße scheuern mußten. Doch in der kühlen Objektivation ihres Erscheinungsbildes könnten die Memorabilien gegen das Vergessen auch in Affirmation umschlagen. Dann wäre das Logo nicht mehr Mahnmal, sondern Fetisch. Das Diktum Benjamins von den Toten, die vor dem Feind nicht sicher sein werden, wenn er siegt, behält im Angesicht des sich reetablierenden Faschismus seine Gültigkeit. Harald Fricke
Bis 1.5. in der Galerie Wohnmaschine, Tucholskystraße 36, Di–Fr 14–19 Uhr; Sa 11–14 Uhr; (außer 25.–29.4.).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen