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Der Bart ist ab ...

Das russische Volk hat den reformfeindlichen Kräften der alten Nomenklatura eine Absage erteilt. Neben einem klaren Vertrauensbeweis für Jelzin erbrachte das Referendum ein Ja zur Wirtschaftsreform.

Selbst wenn hundert Prozent der Wähler für den Präsidenten stimmen, hat er kein Recht, einseitige Veränderungen an der Verfassung vorzunehmen“, knirschte Jelzins Erzrivale, Parlamentspräsident Ruslan Chasbulatow am Montag morgen. Die ersten Hochrechnungen des Referendums waren eingetroffen, in denen Rußlands Wähler den Abgeordneten der konservativen Legislative eine vernichtende Niederlage beigebracht haben. Sie werden sich davon nicht mehr erholen.

Auch Alexander Ruzkoi, Vizepräsident und seit langem (v)erbitterter Gegner Jelzins, zeigte keine Verliererqualitäten: „Hinsichtlich dieser ganzen Rufe nach dem Rücktritt des Vizepräsidenten — ich versichere jedem, ich werde nicht zurücktreten. Ich habe genügend Unterstützer, die meine Überzeugungen teilen.“ Nun offenbarten die Ergebnisse allerdings, daß seine Parteigänger nicht in der Bevölkerung Rußlands zu suchen sind.

In Moskau und den großen industriellen Zentren des Landes sprach eine überwältigende Mehrheit Präsident Jelzin ihr Vertrauen aus. Dagegen verlangten über die Hälfte der Wähler Neuwahlen für das derzeitige Parlament. Ähnlich beruhigend fielen die Resultate im sibirischen Jakutien und auf der Halbinsel Kamtschatka aus. In der Amurregion an der chinesischen Grenze votierten dagegen 54, in Orenburg im kasachischen Grenzgebiet 52 Prozent gegen den Präsidenten. Die deutliche Ablehnung, die dem gesamtrussischen Trend zuwiderläuft, ist hier den Spezifika der Grenzlage geschuldet — vor allem wohl den illegalen Händlern jenseits der Grenze.

An dem deutlichen Ja für Jelzin hatte es schon vorher keine Zweifel gegeben. Erstaunen rief bei zahlreichen Beobachtern die hohe Wahlbeteiligung von rund 62 Prozent hervor. Die Endergebnisse werden erst in einer Woche vorliegen. Nur wenige haben den politikmüden Russen ein derartiges Engagement zugetraut.

Noch mehr Verwunderung erntete hingegen die Absegnung der Wirtschaftsreformen. Fast überall willigten die Wähler in dieser Frage zu 60 Prozent ein. In den beiden größten industriellen Zentren an der Moskwa und Newa lagen die Werte sogar über 70 Prozent. Dabei hatte der Volksdeputiertenkongreß gerade diesen Punkt in das Referendum hineingedrückt, um Jelzin auflaufen zu lassen. Weit gefehlt. Denn jetzt geht der Präsident gestärkt aus dem Plebiszit hervor.

Noch läßt sich nicht endgültig absehen, ob die erforderliche Mehrheit der Wahlberechtigten zusammenkommt, um den Volksdeputiertenkongreß im Einklang mit der Verfassung aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben. Wahrscheinlich fehlen einige wenige Prozentpunkte. Die moralische Stärkung dürfte aber ausreichen, um längerfristig eine Lösung zu erzwingen. Die Reaktionen der Verlierer zeigten, daß sie sich nicht gerade sicher fühlen.

So könnte Jelzin den Kongreß nicht, wie bisher häufig prophezeit, auflösen, sondern ihn moralisch zersetzen. Sollte sich die Legislative nicht bereit erklären, ihren Kampf um die Machterhaltung aufzugeben und das Macht-Hickhack zu beenden, könnte der Druck der Straße erneut stärker werden. Das sonntägliche Votum schließt diese Möglichkeit nicht aus.

In der Verfassungsfrage favorisieren Jelzin und sein „Lager“ die Präsidialdemokratie. Die Legislative soll aus einem Zweikammernsystem bestehen, im zukünftigen Oberhaus würden die Vertreter der 88 Territorien der Russischen Föderation mit Sonderstatus sitzen. Einen Volksdeputiertenkongreß wird es dann nicht mehr geben. Klaus-Helge Donath, Moskau

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