Nachschlag

■ Chuzpe mit Stil – Lesung von Katja Lange-Müller im LCB

„Wehleid – wie im Leben“ hieß 1986 ihr erstes Buch. Für die Erzählung „Kaspar Mauer – Die Feigheit vorm Freund“ bekam sie den Bachmann-Preis; sie ist mittlerweile eine der wichtigsten deutschen Gegenwartsschriftstellerinnen. Dienstag abend war Katja Lange-Müller nun im Literarischen Colloqium zu bestaunen. Denn die Autorin ist kein nerztragender Schöngeist; nicht nur die Jahreszeit, auch ihre Erfahrungen in der DDR, die sie 1984 verließ, machten die Pose literarisch ambitionierter Rührmichnichtans unmöglich.

„Warum ich in der Psychiatrie jearbeitet hab'? Na logo: ich war vorher bei der Berliner Zeitung, und da dacht' ick mir: na, schlimmer kann's dann in der Psychiatrie ooch nicht sein.“ Oder die Geschichte der „Reisedelegierung“ in die Mongolei, wie sie dort mit polnischen Ingenieuren in einer tschechischen Waschmaschine Schnaps brannte: Ost-Erlebnisse, die sich gewaschen haben. Auf Teufel komm raus losfabulierend, mühelos das hohle Pathos der Macht ebenso unterlaufend wie den trüben Déjà-vu-Blicken der Westler neuen Glanz verschaffend. Etwas davon war an diesem Abend zu bemerken, eine Leichtigkeit und Respektlosigkeit, an der die heutige Literatur arm ist.

Mit Katja Lange-Müller diskutierten Helga Malchow, ihr Lektor bei Kiepenheuer & Witsch sowie ihre Freundin Monika Maron, die 1988 die DDR verließ. Ulrich Janetzkis Frage nach den Gründen erfuhr eine Korrektur: „Die Frage ist falsch gestellt. Sie müßte heißen: Warum bin ich solange geblieben? Vielleicht aus Trotz. Und das bereue ich bis heute.“ Den beiden Schriftstellerinnen hat der Weggang sichtlich gutgetan. Marons etwas unterkühlte Gelassenheit, Lange-Müllers Spontanität – was wäre wohl im Osten daraus geworden? Bestenfalls „Werte“, die es zu „verteidigen“ galt, eine Anspannung, die eigne Individualität zu wahren, aber kaum diese unverkrampfte Souveränität, die nicht gezwungen ist, sich ständig erklären zu müssen. Marko Martin