: Verleger, Bücher, Abenteuer
Der Historiker Robert Darnton auf den Spuren von Diderots Encyclopédie ■ Von Daniel Haufler
Allez vous faire f..., vous et votre ouvrage, je n' y veux plus travailler – „Scheren Sie sich zum T..., Sie und Ihr Werk, ich will nicht mehr daran arbeiten“ – Kein Verleger auf der Welt könnte Denis Diderot dazu verleiten, seine Encyclopédie fortzusetzen oder ein Supplément herauszugeben, nachdem 1772 der letzte von 28 voluminösen Bänden erschienen ist. Weit über 20 Jahre hat er für seine Encyclopédie geschrieben und redigiert, Werbetexte formuliert und sich den Terminen der Verleger gebeugt. Gemeinsam mit d' Alembert und Autoren wie Voltaire, Rousseau und Turgot hat Diderot eine „Kompilation des Wissens“ und ein „Manifest der Philosophie“ geschaffen, das die Aufklärung und den geistigen Umbruch im vorrevolutionären Frankreich symbolisiert.
Auch die Zensur hat die Leistung der Encyclopédie durchaus bemerkt: Diderot wird vier Monate in Vincennes eingesperrt; noch 1770 läßt die Regierung 6.000 Exemplare der zweiten Auflage in die Bastille (!) wandern, weil darin „Religion, Staat und Sitten“ verletzt würden. Erst als Louis XVI. das Zepter übernimmt und der Enzyklopädist Turgot mit in die Regierung einzieht, steht dem Dictionnaire Raisonné, der Encyclopédie, die Zukunft offen. Sie wird zum Spekulationsobjekt.
Die „Glänzenden Geschäfte“ mit Diderots Encyclopédie zeichnet der Princeton-Historiker Robert Darnton in einer Studie über deren Verbreitung nach. Daß die Encyclopédie zum Bestseller des 18.Jahrhunderts wird, verdankt sie zwei der gerissensten Verleger im Ancien Régime: Charles Joseph Panckoucke aus Paris und Joseph Duplain aus Lyon.
Panckoucke erwirbt im Jahr 1768 die Rechte – das königliche Privileg – an allen zukünftigen Ausgaben der Encyclopédie und sucht daraufhin Investoren für eine Neuausgabe. Mit gleichgesinnten Verlegern (und Raubdruckern) aus Genf, Amsterdam, NeuchÛtel und Paris bildet er dann ein Konsortium, das jederzeit jenseits der französischen Grenze drucken könnte, falls unerwartet die Zensur eingriffe. Sofort starten die Verleger eine Subskriptionskampagne – mit großem Erfolg. Doch auch die Konkurrenz schläft nicht. Raubdrucker in der Schweiz und Italien produzieren eigene Ausgaben des Diderotschen Werkes, an denen sie hervorragend verdienen. Ja, Panckoucke selbst beteiligt sich an einem zweiten Encyclopédie- Projekt, damit ihm kein Geschäft entgeht. Er beherrscht die Tricks und Raffinessen der Branche wie kein Zweiter – außer vielleicht Joseph Duplain.
Der Lyoner Raubdrucker beobachtet einige Zeit sehr interessiert die Erfolge seiner Kollegen, bevor er eine kleinerformatige und billigere Ausgabe der Encyclopédie ankündigt. Duplain kann bereits nach wenigen Wochen eine beachtliche Liste von Subskribenten vorweisen, wie Panckoucke von seinen Spionen erfährt. Er muß handeln: Entweder setzt er die Polizei auf Duplain an – immerhin besitzt Panckoucke das Privileg an der Encyclopédie – oder er kooperiert mit ihm, und beide verdienen an Duplains Ausgabe.
Panckoucke entscheidet sich fürs Verdienen — der Kampf um den Profit war hart im Ancien Régime. Gemeinsam fädeln die Verleger ein Projekt ein, das alle bis dahin bekannten Dimensionen sprengt: Über 8.000 Encyclopédies à 39 Bänden werden auf den Pressen der Region Lyon gedruckt, die somit in den nächsten zweieinhalb Jahren fast ausschließlich für dieses Buch der Bücher arbeiten. Da in der Stadt nicht genügend Papier für die 300.000 Bände – ein einzelner Titel erscheint sonst in 1.000 Exemplaren – beschafft werden kann, müssen „paper scouts“ in ganz Frankreich und der Westschweiz herumreisen. Sogar Arbeiter werden Hunderte von Kilometern herangekarrt, damit die Druckereien ihre Aufträge bewältigen können.
Aber wer kaufte Diderots Werk? Robert Darnton hat sich auf die „Suche nach den Lesern“ gemacht – wobei in deutschen Fassungen leider prägnante Passagen dazu gestrichen sind. Als Basis der Untersuchung diente ihm das Archiv der Société Typographique de NeuchÛtel (STN), die maßgeblich an der Panckouckeschen Encyclopédie-Ausgabe und ähnlichen Projekten beteiligt war. Wenngleich er seine Aussagen auf die komplett überlieferten Rechnungsbücher, geheimen Notizen der Verleger und ihrer reisenden Vertreter, die Berichte von Spionen und 50.000 Briefe stützen kann, die sogar die abseitigsten Pfade der Encyclopédie verfolgen lassen – die Quellen verraten nicht, wer die Encyclopédie wirklich gelesen und wie sie gewirkt hat. Nachweisen läßt sich, daß die Encyclopédie vor allem im Süden und den Provinzhauptstädten verkauft wurde, kaum jedoch im Norden und den Hafenstädten. Am Beispiel Bésancon überrascht Darnton mit dem Ergebnis, daß vornehmlich die alten Eliten des Ancien Régime das „hohe Werk der Aufklärung“ erwarben, also nicht die aufstrebenden Handels- und Industriebürger als Wegbereiter der französischen Revolution. Die Intellektuellen hingegen dürften Diderots Werk in den Lesekabinetten verinnerlicht haben, denn sie besaßen wie die „einfachen Leute“ gar nicht das Geld, die Encyclopédie zu kaufen. Gerade diese Form der Rezeption läßt sich aber empirisch nicht belegen. Darnton kann, wie er selbst eingesteht, daher nur unvollständig ermitteln, wie die Aufklärungsliteratur ihre Leser verändert und das absolutistische System untergraben hat.
Dennoch leistet Darnton einen wesentlichen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte, weil er einen ungewöhnlichen Blickwinkel wählt. Darnton erzählt oft spannend, wie Autoren behandelt, Papier hergestellt, Manuskripte bearbeitet und gedruckt, Ordnungshüter umgangen, Buchhändler beliefert und Leser beglückt wurden. Er verbindet Aspekte der Sozial- und Mentalitätsgeschichte zu einem tragfähigen Gedankengebäude, das weder die geistigen Strömungen noch das „hurly-burly“ (volle Leben) im vorrevolutionären Frankreich vernachlässigt. Die deutsche Ausgabe ist gegenüber der Originalfassung meist sinnvoll um einige Schlenker gekürzt worden, verliert dafür jedoch ihr Schlußkapitel, so daß nun am Ende lediglich die bedeutsame Bemerkung Beaumarchais' über Panckouckes Erfolg steht: „Herr Panckoucke ist Belgier und zehnmal Belgier.“
Robert Darnton: „Glänzende Geschäfte. Die Verbreitung von Diderots Encyclopédie oder: Wie verkauft man Wissen mit Gewinn?“ Aus dem Amerikanischen und Französischen von Horst Günther. Verlag Klaus Wagenbach. Leinen, 336 Seiten, 49.80 DM
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