: Überregionales Come Together
Der Berliner „Jazzfocus“ mausert sich zum Impulsgeber und Integrator ■ Von Peter Thomé
Sie ist ein Produkt deutsch- deutscher Integrationsbestrebungen, die nunmehr dreijährige Veranstaltungsreihe „Jazzfocus“ der Jazzfront Berlin-Brandenburg e.V., eines Ost-West-Zusammenschlusses der Berliner Jazzmusiker. Doch während die erste Veranstaltung dieser Art noch weitgehend zur Selbstdarstellung genutzt wurde und sich dort die vielfältige Jazzkultur der frisch vereinten Stadt dokumentierte, ist seit dem letzten Jahr klar, daß die Veranstalter mit Unterstützung des Kultursenats auch überregionale Integration verfolgen – und darüber hinaus auch musikalische Entgrenzung betreiben.
Ein Garant für beide Tendenzen ist diesmal bestimmt der Wahllitauer Wladimir Chekasin. Einst als Saxophonist des Ganelin-Trios international bekanntgeworden, hat er gerade in seinen Bands (er stellt für den Jazzfocus ein neues Quartett zusammen) den radikalen Wechsel der Stilrichtungen in teils komponierten, teils improvisierten Passagen vorangetrieben. Seine Musik changiert zwischen Bebop, Swing, russischer Folklore und Minimalmusik, er singt zweistimmig (!) Dada-Dialoge, bläst auch mal zwei Saxophone gleichzeitig, und man darf gespannt sein, welche verrückte Bühnenshow sich der schalkhafte Russe diesmal ausgedacht hat.
Zwischen den Stilen vagabundiert auch das Ost-West-Quintett Frigg. Zitate von Kammermusik bis Punk, von klassischer Tanzmusik bis Rock und HipHop werden mit Hilfe der Improvisation „dekonstruiert“. Der Komponist und Katzer-Schüler Bert Wrede, tonangebend bei Frigg, ist freier Jazzmusik und moderner Klassik gleichermaßen aufgeschlossen. Das wird sich nicht zuletzt am teilweise gemeinsamen Auftritt mit dem „Akkordeon extrem Qartett“ zeigen, einem Streichertrio und Akkordeonisten, das seine musikalische Heimat eindeutig in der modernen Klassik hat.
Die als Doppelkonzert geplante und geprobte (!) Begegnung ist Teil der Veranstaltermaxime, Musiker verschiedener Sparten zusammenzubringen, eine Idee, die sich im kommerziellen Festivalbetrieb kaum noch realisieren läßt. Die Begegnung von The Blech, die bedenkenlos die Popmusik der letzten 30 Jahre recyceln, mit den Berliner Jazzern Goldsbury, Bier und Rodach könnte vielleicht den Blech-Geiger Helmut Bieler- Wendt (HB-W) dazu hinreißen, etwas von seiner immensen Improvisationskunst zu zeigen.
Poesie wird es nicht nur in der skurrilen Blech-Form geben („Ist er gestorben, überlebt er die Sorgen“), sie wird auch im Jazzidiom ausgelotet beim Experimenti-Berlin-Komponisten Michael Henning, der sein erfolgreiches Projekt „Gezeiten“ für den „Jazzfocus“ wieder aktiviert. Texte von Schwitters, Ringelnatz, Benn und Celan werden vertont. Hennings „Ensemble Blauer Salon“ ist mit der Sängerin Ursula Slavizek, dem Saxophonisten Matthias Schubert, Jacques Nobili an der Posaune u.a. hervorragend besetzt.
Das türkische Lied wird von der Wahlberlinerin Sema vorgestellt. Für den erneuernden Jazzkontext sorgt das Ostwestdeutsche Quartett Taksim, einen weiteren Verfremdungseffekt erzielt mit Sicherheit die für türkische Musik recht ungewöhnliche Trompete des Ergun Senlendirici.
Eine Free-Jazz-Begegnung auf höchster Ebene ist vom Duett des Pianisten Ulrich Gumpert und dem New Yorker Tim Berne am Saxophon zu erwarten, Free Jazz als freifließender Energiestrom wird es von dem Schweizer Quartett „Blauer Hirsch“ um das Naturtalent Werner Lüdi (sax) geben. Ihr Titel „Barbarian Love Song“, eine Ballade, die gefühlvoll variiert zwischen tapsiger Liebesbezeugung und schlichter Erotik, ist ein wunderschönes Beispiel für den Spaß am freien Spiel. Die virtuosen Solisten Mikhail Alperin und Andreas Willers sowie das Ives- Robert-Quintett runden den diesjährigen „Jazzfocus“ ab und wecken Vorfreude auf ein durchgehend spannendes und provokatives Festival.
Programm: 7.5. Blauer Hirsch, Michael Henning „Gezeiten“, Mikhail Alperin, Sema & Taksim feat. Ergun Senlendirici.
8.5. Frigg, Akkordeon extrem ARTett, Andreas Willers, Ives Robert-Quintett
9.5. Wladimir Chekasin Quartett, Ulrich Gumpert, Tim Berne, The Blech „spezial“. Ort: Wabe, Dimitroffstraße 101.
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