: Generalstreik in Rumänien?
■ Preisexplosion nach Wegfall staatlicher Subventionen / Regierung erhöht Mindestlohn
Berlin (taz) – Die rumänische Regierung reagiert auf den Druck der Gewerkschaften. Nachdem diese angekündigt hatten, für den 5. Mai einen landesweiten Generalstreik auszurufen, beschloß das Parlament bereits am Montag bei einer überraschend einberufenen Sitzung eine Erhöhung der staatlichen Kinderbeihilfe von monatlich 1.500 auf 3.500 Lei. Am Mittwoch billigte die Regierung dann die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf 30.000 Lei (etwa 70 DM).
Bereits am 1. Mai waren die Bukarester U-Bahn-Arbeiter in einen Warnstreik getreten. Da die Regierung für den 2. Mai die Aufhebung sämtlicher staatlicher Subventionen angekündigt hatte und daher eine Preisexplosion erwartet wurde, wollten sie so ihrer wochenlangen Forderung nach höheren Löhnen endlich Druck verleihen. Wenn ein Weißbrot bis dahin 20 Lei kostete, so müssen die Rumänen dafür nun 90 Lei bezahlen.
Doch an der Frage des Mindestlohns scheiden sich auch weiterhin die Geister. Die Gewerkschaften fordern eine 80prozentige Anpassung an die gestiegenen Preise. Eine Einigung verhinderte aber auch der Streit innerhalb der Gewerkschaften. So wurde ein bereits unterzeichnetes Protokoll zwischen der Regierung und dem „Nationalen Gewerkschaftsblock“ beziehungsweise der „Gewerkschaft Fratia“ kurz darauf von den Syndikalisten widerrufen. Als Grund gab man die Übermüdung der Gewerkschafter an, die, so die offizielle Erklärung, aus Unaufmerksamkeit dem Regierungsvorschlag zugestimmt hatten, das Monatseinkommen ab 70.000 Lei zusätzlich zu besteuern. Die Gewerkschaften fordern nun, die Grenze bei 85.000 Lei festzulegen.
Emil Constantinescu, der Vorsitzende des „Demokratischen Konvents“, zeigte Verständnis für die Forderungen der Arbeiter, erklärte aber auch, daß die Opposition aus diesem Konflikt kein Kapital schlagen möchte und sich somit neutral verhalte. Dagegen soll Präsident Iliescu in dem Konflikt die Rolle des Schiedsrichters übernehmen. Die Bergarbeiter aus dem Schiltal, die im Juni 1990 zu den Hauptstützen des Iliescu-Regimes zählten und damals während einer beispiellosen Prügelorgie die friedlichen Demonstranten vom Bukarester Universitätsplatz vertrieben hatten, drohen nun erneut mit einem Marsch in die Hauptstadt. Ihr Ziel diesmal: der Sturz von Premierminister Vacaroiu. Am Mittwoch wurden zunächst einzelne Betriebe bestreikt. Am Freitag wollen weitere Belegschaften in den Ausstand treten, falls die Gewerkschaftsführer nicht doch noch zu einer Kompromißlösung mit der Regierung kommen. William Totok
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