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Fremdling am Flügel

■ Die lebende Legende Arturo Benedetti Michelangeli in der Musikhalle

in der Musikhalle

Kann mir jemand sagen, warum Legenden immer haargenau wie Legenden aussehen? Liegt es vielleicht am schwarzen Anzug, dem schwarzen Rolli, am schwarzen, zurückgekämmten Langhaar überm blassen, knochigen Schädel – oder liegt es an mir? Eins weiß ich seit Freitagabend: Im Traum nicht alle Legenden spielen so enorm Klavier wie Arturo Benedetti Michelangeli. Der Mann geht, als hätte er die Last, Legende zu sein, lang abgeschüttelt. Alles ist sehr ernst. Bevor er beginnt, stellt er den linken Fuß aufs Pedal. Und nimmt ihn nicht mehr herunter, bis der letzte Ton verklungen ist. Er spielt den Abend nur Debussy.

Wenn einer so spielt wie Benedetti Michelangeli, so grenzenlos kalkuliert, formbewußt und ausgewogen, könnte das gähnend langweilig werden. Weit gefehlt. Der Mann, auf seine trockene Art, verzaubert ganz unauffällig. Kaum merkt man, wie da Farben entstehen, verglühen, wieder aufleuchten, wie Töne zu Wind und Wasser werden, zu Strudeln und Wirbeln, Tropfen und Hauch in einer Anschlagkultur, deren Durchsichtigkeit und Helle ihresgleichen sucht – so gebannt hört man zu.

Die eher launigen Miniaturen „Childrens Corner“ spielt er als abgeklärten Blick zurück, der „Cake-walk“ schwebt über einem Abgrund von Humor. In den „Images“ klingt es bisweilen nach Morgengrauen in der Bar des Hotels „Einsamkeit“. Jemand summt die Mittelstimmen mit! Es ist der Fremdling da vorn am Flügel.

In den „Préludes“ endlich die lange Geschichte klavieristischer Farbenpracht, das Märchen davon, wie die Tonalität sich im Wald verirrte, wie das Bedürfnis nach Auflösung der Dissonanzen zu Luft ward. Die Melodie, wenn nicht schon im Schnee der Akkorde erfroren, macht sich frei von tonaler Gebundenheit und gelangt über Chopin und Liszt hinaus zu sich selbst. Von weit weg hat uns das eine Legende nahegebracht. Das kleine Tuch, mit dem sie sich die Stirn abtupft, kann nur eine Farbe haben: Schwarz. Stefan Siegert

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