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Zeit der Verzweiflung

Der S. Fischer Verlag im Nationalsozialismus, eine Erinnerung an den Beginn der Barbarei  ■ Von Daniel Haufler

Mit Schrecken hat der Lyriker und Lektor des S.Fischer-Verlages Oskar Loerke, der diese Sätze in seinem Tagebuch notierte, am 26. April 1933 die Berliner Zeitungen gelesen: Die „Deutsche Studentenschaft“ will mit einer „Aktion wider den undeutschen Geist“ alle privaten und öffentlichen Bibliotheken von „Jüdischem Geist“ und „Liberalismus“ säubern. 71 Autoren haben die Studenten ausgewählt, deren Bücher sie in allen deutschen Universitätsstädten „den Flammen übergeben“ wollen. Der neu ernannte Propagandaminister Goebbels erfährt davon erst spät. Zwar erklärt er sich bereit, eine „Feuerrede“ zu halten, aber Golo Mann bemerkt zu Recht in seinem Tagebuch: „Eine schwache Rede von Goebbels und ein gemachtes, dürftiges Theater.“ Denn so treffend die Bücherverbrennungen die Vernichtung des kulturellen Lebens und der „Asphalt-Literatur“ symbolisieren, der Terror der „Kampfzeit“ paßt nicht mehr in das Konzept der „Gleichschaltung“. Die Macht wird nun auf dem Verwaltungsweg übernommen. Goebbels will vorerst weder das Ausland noch „national gesinnte“ Künstler verschrecken. Ebenso taktisch denkt Hermann Göring: „Es ist immer noch leichter, aus einem großen Künstler mit der Zeit einen anständigen Nationalsozialisten zu machen, als aus einem kleinen Pg. einen großen Künstler.“

Tatsächlich gelingt es den Nationalsozialisten anfangs, bekannte Künstler als Aushängeschilder zu gewinnen. Richard Strauss, Werner Krauß und Hans Friedrich Blunck lassen sich zu Repräsentanten der Reichskulturkammer küren, Gottfried Benn und Gerhart Hauptmann verharren in der Preußischen Akademie der Künste, auch nachdem die regimekritischen und jüdischen Mitglieder ausgeschlossen wurden und emigrieren. Thomas Mann kehrt von einer Lesereise nicht mehr nach München zurück, während Hermann Hesse in seiner Wahlheimat Schweiz bleibt; Alfred Kerr, Heinrich Mann, Alfred Döblin und viele andere fliehen nach dem Reichstagsbrand. Der politisch engagierte Malik-Verlag wird geschlossen, und dessen Leiter Wieland Herzfelde zieht es vor, nach Prag auszureisen, bevor er verhaftet wird. Eine nationalsozialistische Betriebszelle vertreibt die jüdische Familie Ullstein aus ihrem eigenen Verlag, der dann für einen Schleuderpreis „arisiert“ wird.

Auch dem jüdischen Verlagshaus S.Fischer droht dieses Schicksal. Gottfried Bermann Fischer, Schwiegersohn und Nachfolger des Verlagsgründers Samuel Fischer, möchte den Verlag am liebsten sofort an einen sicheren Ort im Ausland verlegen. Aber Samuel Fischer lehnt dies entschieden ab. Er kann und will den Berichten Bermanns über den Nazi- Terror nicht glauben. Es bleibt Bermann nichts übrig, als im Sommer 1933 seine Arbeit in Berlin fortzusetzen. In seiner Autobiographie skizziert er anschaulich die prekäre Situation:

„Der Verlag arbeitete inzwischen nahezu ungestört weiter. Ob man uns in Ruhe ließ, um vor dem Ausland zu demonstrieren, wie »liberal« man war? Aber es war eine unheimliche Ruhe, hinter der Bedrohung lauerte die Ungewißheit über den nächsten Tag, die lähmende Machtlosigkeit gegenüber brutaler Gewalt.“

Obwohl Bermann Fischer im Programm des Jahres 1933 eine Reihe von „unerwünschten“ und jüdischen Autoren präsentiert – Schnitzler und Döblin, Wassermann und Kerr, Beer-Hofmann und Thomas Mann –, wird er nicht offen von den NS-Behörden attackiert. Das ist auch gar nicht nötig, um den Verlag in eine existentielle Krise zu stürzen. Der Terror der ersten Monate im Jahr 1933 und die alltägliche NS-Propaganda verunsichern den Buchhandel ohnehin. Der Börsenverein übt sich im vorauseilenden Gehorsam und stellt schon im April ein sogenanntes „Sofortprogramm“ vor, in dem die „nationale Erhebung“ begrüßt und bei der „Judenfrage“ vollkommene Ergebenheit postuliert wird. Im Branchenorgan, dem Börsenblatt, werden am 13. Mai zwölf Schriftsteller, unter ihnen die Fischer-Autoren Alfred Kerr und Arthur Holitscher, als „schädigend“ gebrandmarkt; eine Woche später schließlich druckt das Börsenblatt eine schwarze Liste für die „Säuberung“ der öffentlichen Bibliotheken ab. Obwohl das Blatt hervorhebt, daß die Liste „der Reduktion auf das für den Buchhandel erträgliche Maß“ bedürfe, orientieren sich Sortimenter an ihr. S.Fischer-Lektor Loerke notiert verzweifelt:

„Schwarze und weiße Listen! Auch die Buchhändler haben welche [...]. Der Bücherabsatz des Verlages war letzte Woche wie abgeschnitten. Die Bücher der neuen Autoren kamen ballenweise zurück... ich höre nichts mehr außer Gerüchten.“

Der S.Fischer-Verlag bringt trotz allem 1933 noch 47 Neuerscheinungen heraus – 1934 werden es noch 34 neue Titel sein –, aber die Auflagen sinken ständig. Der Umsatz geht von 1,56 Mio. RM im Geschäftsjahr 1932/33 auf 833.000 RM für 1933/34 zurück, 1934/35 schrumpft er auf 806.000 RM. Aber nicht nur die ökonomische Misere belastet die Arbeit des Verlages, auch die Gestapo übt Druck aus. Mehrmals taucht sie überraschend im Verlagshaus auf, um Bücher verbotener Autoren zu beschlagnahmen.

„Zeit der Unruhe und der Verzweiflung. Die wirtschaftliche Vernichtung, also die Vernichtung selbst rückt immer näher.“

So beschreibt Loerke die Lage des Verlages und der Mitarbeiter am Vorabend des 15. Oktober 1934, des Tages, an dem Samuel Fischer stirbt. Mit seinem Tod endet eine Ära. Der „Cotta des Naturalismus“ hat das literarische Leben seiner Zeit in einem Maße geprägt, die selbst seine Gegner beeindruckte. Ein Nachruf der gleichgeschalteten Literarischen Welt, die jetzt Das Deutsche Wort heißt, erklärt zumindest teilweise, warum der Verlag bisher relativ unbehelligt arbeiten durfte:

„Das kaiserliche Deutschland war an keiner Stelle fähig, der in ihrer Art hochbedeutenden kulturellen Leistung des Hauses S.Fischer eine verlegerische Front aus nationalem Geiste zur Seite zu stellen. Die spätere Republik machte den Verlag S.Fischer ... fast zu einer Art »Staatsverlag«. Die amtlichen Stellen des neuen Deutschland haben der »literarischen Hochburg des Liberalismus« klaren Kampf angesagt.

Es fehlt uns aber im geistigen Neuaufbau unserer Welt bisher durchaus jene geniale Verlegerpersönlichkeit, die – das muß auch der Gegner vorbehaltlos anerkennen – in seiner Welt S.Fischer überragend war.“

Die „Verfolgungen dauern an“, und im Februar 1935 kursiert erstmals das „Gerücht von Verstaatlichung des Verlages“ (Loerke). Obwohl es Bermann Fischer schwerfällt, wendet er sich an das Propaganda-Ministerium. Er will die Rechte und die Bücher der „verfemten“ Autoren mit ins Ausland nehmen, um dort seine Verlagsarbeit fortzusetzen, und den Berliner „Rest-Verlag“ zum Verkauf freigeben. Überraschenderweise begrüßt das Propaganda-Ministerium sein Anliegen. „Ja, man interessiere sich für den Übergang des in Deutschland verbleibenden Verlagsteiles in »zuverlässige« Hände.“ Bermanns Vorschlag entspricht den Richtlinien für die „Arisierung“ und erspart dem Ministerium, zwangsweise gegen den international renommierten Verlag vorzugehen.

Nach langen Detailverhandlungen gelingt Bermann und seinem Geschäftsführer Peter Suhrkamp der Durchbruch: In Berlin leitet ab dem 15. April 1936 Suhrkamp den reduzierten S.Fischer-Verlag, den er gegenüber allen NS-Eingriffen abzuschirmen versteht. Von den berühmten Schriftstellern jedoch erscheinen nur noch Gerhart Hauptmann und Hermann Hesse in Deutschland. In Wien wird der Bermann-Fischer Verlag gegründet, der als Startkapital 780.000 Exemplare verbotener Bücher aus Berlin übernehmen darf. Die Verlagsrechte dieser Autoren erwirbt eine Holding, die Bermann in der Schweiz einrichtet – eine Emigration des Verlages in die Schweiz hat der dortige Buchhandel verhindert, weil er den übermächtigen Konkurrenten fürchtet.

Erst in Wien, dann in Stockholm und New York engagiert sich Bermann Fischer unermüdlich für die Exilautoren: Thomas und Heinrich Mann, Alfred Döblin, Annette Kolb, Stefan Zweig, Carl Zuckmayer, Robert Musil und viele andere vertrauen ihm ihr Werk an. Mit Bermann verläßt einer der letzten bedeutenden Verleger Deutschland – außer Suhrkamp bleibt nur Ernst Rowohlt –, und die nationalsozialistischen „Kulturpolitiker“ triumphieren. Der skeptische und präzise Beobachter Oskar Loerke sagt schon am 14. Februar 1935 das Ende in seinem Tagebuch vorher: „Resultat: in zehn Jahren haben wir keine Kultur mehr.“

Literatur zum Thema:

Bermann Fischer, Gottfried: Bedroht – Bewahrt. Der Weg eines Verlegers. Frankfurt/Main (S.Fischer) 1971.

Bermann Fischer, Gottfried/Brigitte Bermann Fischer: Briefwechsel mit Autoren. Frankfurt/Main (S.Fischer) 1991.

Dahm, Volker: Das jüdische Buch im Dritten Reich, München (C.H. Beck), erscheint im Herbst 1993.

de Mendelssohn, Peter: S.Fischer und sein Verlag, Frankfurt/M. (S.Fischer) 1970.

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